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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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besonderer Anlaß war. Boxer redete wie üblich ohne Unterbrechung, mit luzider Präzision und sogar mit Stil – über seine Viehwirtschaft, die ökologischen Verhältnisse des Weidelandes und seine außergewöhnlichen Wahrnehmungen über die seltsame Form von Leben, die sich in Zecken manifestierte – eine Beschreibung des Sublebens der Stille und der Geduld des Parasitentums. Er sah seltsam verändert aus, ohne seinen Hut; seine Stirn war ab halber Höhe, wo der Hut tagein, tagaus auflag, weiß, feucht und faltig wie die Hand einer Wäscherin. Echte Nacktheit zeigt sich bei verschiedenen Leuten an verschiedenen Stellen des Körpers; bei ihm war es diese exponierte Stirn, die glänzte, als der Wein wirkte, und Schweiß produzierte. Bray dachte nichtmehr an die Zecken – Boxer selbst wirkte auf ihn wie irgendeine seltsame Form von Leben. Bray hörte ihm mit jener gelangweilten Faszination zu, mit der er einst, kurz bevor er England den Rücken gekehrt hatte, mit Olivia in einem Zukunftsfilm gesessen hatte – sein eigenes Lebensinteresse ganz woanders.

 
     
    ER SCHRIEB GERADE einen Brief an Mweta und blickte in dem Augenblick auf, als das gelbe Kleid, das er so gut kannte, durch das Buschwerk sichtbar wurde und näher kam. Sie verschwand wieder und tauchte, noch ein Stück näher, auf; er erhob sich und wartete. Genauso hielt er manchmal in den frühen Morgen- oder Abendstunden wie erstarrt inne, wenn sich ein Reh, das während der Nacht wahrscheinlich auf dem Golfkurs geäst hatte, leise ganz in der Nähe bewegte. Aber sein Körper hatte seine eigenen Assoziationen bezüglich des gelben Kleides, stürmische, aber nichtsdestoweniger zärtliche Freude darüber, daß er sie in einem Augenblick, wenn sie beisammen wären, an sich drücken würde, stieg in ihm auf. Und dann trat sie eilig heraus, auf das Gras im Garten, und da gab es etwas, das sie hemmte – irgendwie war sie anders –, so als hätte sie jemand anderen geschickt, der an ihrer Stelle lächelte. Als sie bei ihm war, bemerkte er natürlich, daß sie ihr Haar hochfrisiert und hinten festgesteckt hatte. Er sagte: »Schätzchen, ich hoffte, du würdest gleich nach dem Aufstehen bemerken, daß der Wagen wieder da ist …«, und als er seine Hand auf ihren Hinterkopf legen wollte, fühlte er wieder diesen Widerstand, und diesmal war es von ihr ganz bewußt so gewollt, weil sie einen Viertelmeter vor ihm stehenblieb, die Handflächen nach oben, um ihn zum Schweigen zu gemahnen oder in Distanz zu halten, das Gesicht glänzend, konspirativ, schmerzerfüllt und doch halb mit einem Kichern. »Sie sind direkt hinter mir – die Kinder, Gordon. Wir kommen, um dich für heute abend auf ein paar Drinks mit ihm einzuladen. Ich hab ihm erzählt, daß ich an den Abenden für dich getippt habe. Es ist alles in Ordnung.«
    Noch bevor es seinen Kopf erreicht hatte, hatte es seinen Körper erreicht, der sofort erschlaffte. Er sagte: »Warum bringst du ihn her, Rebecca?«
    Sie blickte ihn an, leidenschaftlich, kokett, kichernd, erregt.Er hatte sie noch nie so erlebt. »Die Kinder, du Esel. Sie reden in einem fort von dir. Es ist ganz offensichtlich, daß wir die ganze Zeit bei dir ein und aus rennen. Es würde sonderbar aussehen, wenn wir jetzt nicht kämen.«
    »Mein Gott, warum hast du denn nicht gesagt, wann er kommt. Ich hätte ein paar Tage lang wegbleiben können.« Er zog sich hinter seine »Altherren«-Stimme zurück, wie sie es genannt hatte, und wie er wußte, hatte sie damit in ihrer großzügigen und vorurteilslosen Art gemeint, er stelle zwischen ihnen damit eher die Distanz ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft, Erziehung und Selbstsicherheit als die des Altersunterschieds her.
    »Ach, sei doch kein
Idiot
.« Sie flehte ihn an, in ihren Augen heiße Tränen wie Tränen des Lachens. »Es ist alles in bester Ordnung. Du
kennst
ihn nicht.
Niemals
würde er sich dabei was denken. Der Typ ist er einfach nicht. Frauen finden ihn äußerst attraktiv. Er würde nie auf die Idee kommen, ich hätte noch für jemand anderen Augen. Ich hab’s dir gesagt. Er fährt bald wieder ab. Es ist ganz
in Ordnung

    Sie stand da, ein Schulmädchen, das sich gerade die Hand in den Mund stecken wollte, um ein hysterisches Schuldbekenntnis vor einer Autoritätsperson zu ersticken. Er war so sehr über sie erstaunt, wie er sich über sich selbst ärgerte, weil er sich wie ein Narr vorkam. Er wollte fast schon sagen: Und was wir denken – meine Liebe, ist es dir denn nicht in

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