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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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wollen. Die höheren Löhne der Landarbeiter werden, wenn überhaupt, das Ergebnis einer verbesserten Produktion sein, die mit Hilfe der Projekte der Regierung ermöglicht werden und durch sonst nichts, und dadurch werden sich auch ihre Arbeitsbedingungen verbessern. Die Farmarbeiter werden benutzt, mit ihren Forderungen werden sie sich keinerlei Vorteile verschaffen, aus dem einfachen Grund, weil für sie nichts drin ist. Alles, was dabei drin ist, ist der Versuch eines bestimmten Flügels der Gewerkschaftsbewegung, seinen Einfluß zu vergrößern und seine Finanzen zu verbessern, und das hat seine ganz bestimmten Gründe. Ich möchte diese Gründe nicht nennen … Die Gewerkschaften können für die Landarbeiter nichts tun, was nicht auch das Landwirtschaftsministerium für sie tun könnte. Die Partei hat als Volkspartei, als Landarbeiterpartei angefangen, weil wir alle von dort kommen – vom Land« – Applaus besonders jener Leute, deren Kleidung die Vermutung zuließ, daß sie sich am weitesten davon entfernt hatten – »und keiner hat für diesen Unsinn Verständnis, daß die Leute auf dem Land vergessen worden seien, weil es immer noch keinerlei Unterschied zwischen Land- und Stadtbevölkerung gibt. Wir sind alle gleich. Die Vorstellung, es gebe in der Stadt eine andere Klasse von Menschen – ich weiß nicht, wo irgendeiner von uns die hernehmen sollte. Diese Vorstellung ist unafrikanisch. Sie kommt von irgendwo anders her, und wir können damit nichts anfangen. Unsere Partei war schlichtweg eine Volkspartei, und unsere an die Macht gekommene Partei ist schlichtweg eine Volksregierung.«
    Jetzt meldete sich zum ersten Mal Shinza zu Wort. Er trug das Hemd vom Tag zuvor, in der zugeknöpften Brusttasche die Konturen einer Packung Zigaretten. Bray, der ihm so viele Male zugehört hatte, spürte die Nerven in seinem Magen, verfolgte hochgespannt die schweigenden Reaktionen der Masse, die sich ganz konzentrierte und doch um ihn herum im ruhigen Auf und Ab des Atmens bewegte. Wie Mweta (Mweta hatte sich ihn ganz am Anfang zum Vorbild genommen) ließ Shinza sie ein oder zweiAugenblicke lang warten, bevor er zu sprechen anfing – ein Trick, der Autorität, nicht Unentschlossenheit verriet. Dann öffnete er einmal seinen Mund – der abgebrochene Zahn bildete eine häßliche Lücke – und schloß ihn wieder, ohne einen Laut von sich gegeben zu haben. Als die Stimme dann kam, schien sie in Brays eigenem Kopf zu sein. »Die PIP , die Unabhängigkeitspartei des Volkes, ist aus Buschsiedlungen hervorgegangen und aus den Wohnvierteln in den Städten der Weißen, in die die Dorfbewohner zur Arbeit kamen. Sie ist aus den Arbeiterbewegungen in den Minen hervorgegangen, deren Arbeitskräfte ebenfalls aus dem Busch kamen.« Die Stimme verriet Ruhe und Geduld; vielleicht ein bißchen zuviel Geduld – sie könnten es als Rücksicht auf ihre Langsamkeit auffassen. »Es ist wahr, daß sie eine Bewegung von Bauern war und wir alle Söhne von Bauern sind. Aber es ist nicht wahr, daß das genug ist, um die regierende Partei für immer zu einer Volkspartei und die Regierung zu einer Volksregierung zu machen. Wenn ihr an das Gesicht eurer Jugendzeit zurückdenkt, verliert ihr deswegen doch keine Narbe und keine Falte, die ihr jetzt habt.« Eine Hand gedankenverloren über dem Bart, der die eigenen verdeckte. »Für einige Tausende – weniger als ein Viertel der Bevölkerung – hat sich das Leben tatsächlich verändert. Sie arbeiten in Ministerien, Regierungsabteilungen, Büros, Geschäften und Fabriken. Diejenigen, die an der Spitze sind, besitzen Autos und Häuser; selbst die am unteren Ende der Skala wissen, daß sie regelmäßig jede Woche ihre Lohntüte bekommen, und können Anzahlungen leisten – auf Herde und Radios, auf die Dinge, mit denen sie ihren neuen Standard am leichtesten zeigen können.« Ein kleines Achselzucken. »Für die Zehntausende aber hat sich sehr wenig geändert. Drei Viertel der Bevölkerung leben noch immer auf dem Land, und obwohl die Industrialisierung – vorausgesetzt, es handelt sich dabei nicht nur um eine erweiterte Konzession für Ausländerin den kommenden Jahren ein Gutteil anziehen wird, so werden trotzdem noch Zehntausende übrigbleiben – auf dem Land. Wir sind alle gleich – ob in der Stadt oder auf dem Land, und doch gibt es da keine Autos und Ziegelhäuser,keine Kühlschränke und modischen Kleider … Wir sind alle gleich, und doch haben die kein regelmäßiges Gehalt, das

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