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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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zwölfmal im Jahr gezahlt wird, keine Arbeitslosenversicherung, keine Entschädigungen für Unfälle am Arbeitsplatz, keine Abfindungen für den Fall der Entlassung. Wir sind alle gleich? – Gleich ja, aber verschieden? – Ja, gleich, aber verschieden. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß großspurige Worte über unafrikanische Vorstellungen ein Zeichen der Dummheit sind, die die Wahrheit nicht anerkennen will. Die Industrialisierung selbst ist eine unafrikanische Idee – wenn Sie damit etwas meinen, das für Afrika neu ist. Jede politische Partei ist eine unafrikanische Idee. Dieses wunderschöne Kino, in dem wir da sitzen, ist eine unafrikanische Idee, denn eigentlich sollten wir irgendwo draußen unter einem Baum sitzen … Die Erkenntnis, daß wir eine urbane Elite hervorgebracht haben und daß die Kluft zwischen dieser Elite und der Landbevölkerung – in Hinblick auf Befriedigung materieller Bedürfnisse und Besserstellungen anderer Art – wächst, daß die wenigen davongaloppieren und den vielen nichts als den Staub hinterlassen – diese Erkenntnis ist nicht unafrikanisch oder un-sonst irgendwas, sie hängt nur davon ab, ob man das, was tatsächlich passiert, sieht oder nicht. Wenn wir tatsächlich eine klassenlose Nation gewesen sein sollten, dann produzieren wir derzeit unser eigenes besitzloses Landarbeiterproletariat. Das Leben der Menschen in den ländlichen Gegenden stagniert. Sofern die PIP , als eine regierende Partei, eine Partei des Volkes bleiben soll, die sie während der Kämpfe um die Unabhängigkeit war, muß sie erkennen, was sie hat geschehen lassen. Soeben waren wir Zeugen, wie sich Mitglieder dieses Kongresses gegen einen Antrag gestellt haben, der elementare Rechte für die Landarbeiter als Teil der Arbeiterschaft fordert. Dürfen wir unseren Ohren trauen? Ist das die Sprache, die die PIP jetzt spricht?« Er unterbrach sich, um Zwischenrufe herauszulocken; aber wieder war da nur ein mürrisches Schweigen. Seine Stimme wurde jetzt kraftvoll. »Nun, wir nehmen heute am siebten Kongreß der PIP teil, dem ersten, seit die Partei die Regierung bildet; wir müssenVertrauen haben. Gestern sahen sich unsere Frauenorganisationen gezwungen zu protestieren, weil man sie von der Teilnahme am Kongreß ausgeschlossen hatte. Auch da mußten wir unseren Ohren trauen – als wir erfuhren, daß Frauen, die sich von Anfang an neben den Männern für die Unabhängigkeit eingesetzt hatten, daß unsere Frauen also, die immer Vollmitglieder einer Partei waren, die sich verpflichtet hatte, keinen Menschen wegen seiner Stammeszugehörigkeit oder seines Geschlechts zu diskriminieren – daß unsere Frauen draußen gelassen wurden, um Tee zu kochen, während der Kongreß Debatten über Beschlüsse abhält, die auf ihr Leben und das ihrer Kinder entscheidenden Einfluß ausüben werden. – Wir haben es gehört, und was wir gehört haben, das kann nur eins bedeuten: Die Verbindungen, über die sich das Freiheitsgebäude in dieser Stadt mit den Parteiorganisationen in den Dörfern und im Busch verständigt, sind dabei zusammenzubrechen. Und das ist auch der Grund, weshalb die Partei die Stellung der Landarbeiter so diskutiert, als handelte es sich um Fremde, um Leute, die irgendwo anders leben – um Marsmenschen. Das ist der Grund. Die Partei wird nur so lange eine Volkspartei und die Regierung nur so lange eine Volksregierung bleiben, wie die Leute wissen, daß Regierung und Partei für sie da sind. Es sollte keine vergessenen Regionen, es sollte keine vergessenen Teile der Bevölkerung geben. Aufgabe der Partei ist es, das Sprachrohr der Massen zu sein, und nicht als eine Verwaltungsbehörde zu handeln, die dafür verantwortlich ist, daß Anweisungen der Regierung weitergeleitet werden. Die Partei ist – ob nun an der Macht oder nicht – dazu da, der Bevölkerung bei der Formulierung ihrer Forderungen und der Bewußtwerdung ihrer Bedürfnisse Hilfestellung zu leisten, und nicht dazu, sich als Schirm zwischen die Massen und ihre Führer zu stellen. Wenn die PIP den Anspruch der Landarbeiter ignoriert, sich als eine anerkannte Arbeiterschaft mit dem Recht auf autonome Entscheidungen zu organisieren, dann macht sie sich der verächtlichen Haltung schuldig, die sagt, die Massen wären unfähig, sich selbst zu regieren – eine Haltung, die wirüberwunden zu haben glaubten, als das Gouverneursgebäude zur Residenz des Präsidenten wurde. Dieser Kongreß muß der Tatsache ins Auge sehen, daß die Partei

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