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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Gefahr läuft, zu einer Partei von Kabinettsministern, Beamten und Geschäftsleuten zu werden.«
    Applaus und Mißbilligung schlugen aneinander wie die beiden Hälften eines Beckens; ein großer Teil derjenigen, die applaudierten, taten es halb trotzig, wie jemand, der die Schultern hochzieht, weil er fürchtet, gescholten zu werden. Leute vom Land, deren charakteristisches Aussehen und deren Kleidung in den Rängen von Knien und Gesichtern nicht deutlich geworden waren, tauchten plötzlich in beachtlicher Anzahl auf. Gesichter mit den Malen der Stammeszugehörigkeit, in die Länge gezogene, bis zu den ausgefransten Hemdkragen herabhängende Ohrläppchen – sie waren scheinbar überall. Bray war in einer eigentümlichen Hochstimmung; und doch hatte er im Augenblick den Inhalt von Shinzas Worten kaum in sich aufgenommen – er hatte versucht, in den Gesichtern um sich herum und in denen auf der Bühne zu lesen. Mweta hatte seinen Kopf abgewandt, während Shinza redete; keine wie immer geartete Reaktion, außer vielleicht einem – von Bray aufgrund seiner durch Nervosität gesteigerten Beobachtungsfähigkeit entdeckten – leichten Heben des Kinns, das bewies, daß er zuhörte – sehr genau sogar. Der Antrag wurde sehr knapp abgelehnt, und die Niederlage wurde mit unmutigem Murren quittiert; eine Menge bildet immer eine seltsam emotionsgeladene Einheit, deren zusammengesetzte Stimme über ein Repertoire expressiver Laute verfügt – verstümmelte Schreie, Warnrufe, Anfeuerungen –, deren Artikulation den Leuten, die diese Menge bilden, einzeln genommen, nicht möglich ist. Cyrus Goma lief in den Fesseln seiner Niederlage rastlos hin und her. Shinza sah überhaupt niemand an, sondern nur stur geradeaus – in seinem Blick etwas, das aus der Entfernung auf Bray wie ein kleines, verstecktes Lächeln wirkte oder wie ein kaum merkliches Heben der Lippen als Ausdruck der Geduld, mit der er sein Schicksal ertrug. Während Brays Augenauf ihm lagen, kratzte er sich plötzlich heftig die Brust; eine Art Signal, das etwas Komisches hatte – ein Lebenszeichen.
    Kein Zweifel, er hatte auf den Kongreß Eindruck gemacht. Wenn es vorher keine zwei scharf voneinander abgegrenzte Lager gegeben hatte – jetzt gab es sie. Als die betreffenden Delegierten zögernd, aber dennoch unaufhaltsam für Shinza und zu seiner Unterstützung klatschten, war seine persönliche Anhängerschaft unter dem Volk für jeden, der da war, zu sehen und zu hören. Es gab sie, hier und jetzt. Das mußte Mweta klar sein. Und er mußte auch die für ihn bestimmten und glatt in die Rede eingeflochtenen Botschaften verstanden haben; mit keinem Abwenden des Kopfes konnte er ihnen entgehen.
    Im Foyer stieß Bray, der aus der Männertoilette kam, genau in dem Augenblick mit Roly Dando und Shinza zusammen, als sie einander nicht mehr übersehen konnten. Dando sagte: »Das ist jetzt also Ihre Linie, Edward«, genauso als sähen sie einander jeden Tag. »Ich habe keine Linie, Roly. Ich werde jedem Antrag meine Stimme geben, die sich im Namen der produktiven Rolle der Arbeiterschaft aktiv gegen jeglichen Wirtschaftsimperialismus wendet. Das ist meine Politik, und sie ist es auch immer gewesen. Sie wissen das.«
    Dando quittierte die glatte Antwort mit einem Grinsen, das in seine Falten eine neue Ordnung brachte. »Ah ja, die Parteiin-der-Partei.«
    »Gehn wir was essen, da kannst du dann sein Wissen erweitern«, sagte Bray.
    »Ihr zwei könnt euch auf die Beine machen und euch einen Lunch zu Gemüte führen. In meinem verdammten Büro stapelt sich die Arbeit nur so. Diese Art von Zirkusvorstellung ist in meinen Augen reine Zeitverschwendung.«
    Nun versammelten sich die Leute in aller Öffentlichkeit um Shinza. Goma, Ogoto und der riesige junge Basil Nwanga sausten herum, dirigierten seine Aufmerksamkeit konzentriert auf das und jenes, mit flinken Blicken, die aus der Menge der Delegierten auswählten und ausschieden. Mweta, der bislang nochnie außerhalb der Sitzungen aufgetaucht, sondern immer sofort im Präsidentenwagen weggefahren war, schritt, umgeben von Mitgliedern des Zentralkomitees, durch das Foyer. Er entdeckte Bray und steuerte inmitten seines Begleiterreifens auf ihn zu. Er rief, vorbei an Köpfen und Gesichtern: »Seh ich dich heut abend?« Brays Blick wurde zur Frage. »Hat der Sekretär dich denn nicht angerufen?« »Vielleicht nachdem ich schon aus dem Haus war.« »Ein Essen. So etwa um acht. Nach der Cocktailparty. Ja?«
    Es war unangenehm, nun,

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