Der Ehrengast
nachdem er unter den anderen hervorgehoben worden war, wieder in die Umlaufbahn um Shinza einzutreten. Anklägerisch hatte Cyrus Goma alles genau verfolgt. Bray mußte sich einen inneren Ruck geben, um sein eigenes Schuldgefühl zu überwinden und Shinza für einen Moment zur Seite zu ziehen, wozu ihn eine Mischung aus Erregung und Sorge wegen des Antrags trieb, der Mweta die Befugnis entziehen sollte, den Generalsekretär des UTUC zu ernennen. Die Frage sollte am Nachmittag behandelt werden. Shinza war nicht allzu optimistisch; und dennoch war es angesichts des Gefühls von Stärke, das ihm die deutlich sichtbare Unterstützung, die sich um ihn scharte, gab, schwer für ihn, sich von der möglichen Aussicht auf Erfolg nicht berauschen zu lassen. Wie dem auch sein mochte – als er mit Bray sprach, schien er sich plötzlich zu etwas zu entschließen. Sein Gesichtsausdruck war starr wie der eines Betrunkenen, aber er brachte es trotzdem ganz ruhig heraus: »Erinnerst du dich noch an den alten Zachariah Semstu? Er macht noch immer bloß seinen Mund auf, und schon blöken alle fünf Bezirksparteileitungen von Tisolo im Echo zurück … Cyrus liegt ihm schon seit Tagen in den Ohren, aber du weißt ja, wie das ist … er mag denken, was er will, aber bei der Vorstellung, gegen Mweta zu stimmen, würgt es ihn … nun, das kann man verstehen. Aber er weiß, daß du – das heißt, was dich betrifft – also, ich mein, dem, was du sagst, wird er immer vertrauen. Wenn du ihm nun etwas sagen würdest, dann gäb’s überhaupt keine Probleme.« Und Bray erwiderte – so schnell, daß er seine eigene Stimme hörte: »In Ordnung. Wo ist er?«
»Unten auf dem Parkplatz. Linus hat ihn gerade gesehen. Neben dem Zaun, hinten, an der Rückseite des Gebäudes. Geh einfach runter, so als ob du zu deinem Wagen wolltest, dann wirst du ihn schon sehen.«
Bray verließ das Luxurama, ohne daß ihn dabei jemand beobachtete, und trat hinaus in die Hitze. Er ging über den unebenen Boden, als stieße ihn jemand vorwärts. Von den Wagen, auf die er zu- und an denen er dann vorbeiging, drehten sich ihm Hunderte Sonnen entgegen; dann und wann knirschte unter seinen Füßen Ziegelbruch, den man zum Füllen von Löchern verwendet hatte. Einen Baum hatte man stehenlassen; er war – wie ein Möbelstück, das in einem leeren Zimmer mit einem Leichentuch zugedeckt war – vom Staub einer ganzen Trockenperiode bedeckt. Die kleinen Jungen, die mit schmutzigen Lappen herumlungerten und die Leute anbettelten, ihnen die Windschutzscheibe putzen zu dürfen, spielten um seine freiliegenden Wurzeln herum um Pennies.
Er sah ein paar Männer, die in der offenen Tür eines Wagens saßen, zur einen Hälfte drinnen, zur anderen draußen. Sie aßen Fish-and-Chips, und einer von ihnen ballte seinen papierenen Behälter in seiner Faust zusammen und zielte damit auf den übrigen Unrat, der sich unter dem Baum angesammelt hatte. Der alte Mann, Zachariah Semstu, saß gerade auf einer aufgestellten Obstkiste und rauchte eine Pfeife mit einem kleinen blechernen Deckel an einem Kettchen. Als Bray herankam, bedeutete der alte Mann den Kindern, wohin das Päckchen gefallen war, und ohne Bray im Moment zu erkennen, erklärte er den anderen verärgert: »Laßt sie’s essen, wenn ihr’s nicht wollt.« Bray begrüßte ihn förmlich auf gala und titulierte ihn dabei mit »mein alter Freund«.
Die Ohren des alten Mannes erkannten wieder, was seine Augen nicht erkannt hatten. Ein Ausdruck freudigen Staunens ging über sein Gesicht. Der Austausch von Grußformeln ging fünf Minuten lang weiter. »Aber du hast mich doch da drinnen gesehen«, sagte Bray und neigte dabei seinen Kopf. »Nun, nun …ich habe gehört, daß du wieder im Lande bist. Ich hatte es gehört. Aber ich dachte, du wärst für immer von uns fortgegangen … du warst so lange weg.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Wie du weißt, hat man mich die ganzen Jahre nicht hereingelassen.«
»Und ich bin ein alter Mann geworden«, sagte Semstu.
Die anderen blickten, als kennten sie all das schon; seine Autorität lähmte sie. Zwei von ihnen stellte er vor – beide offenbar Parteifunktionäre aus Tisolo –, bei den anderen, weniger wichtigen, erledigte er es auf einmal, mit einer alle einschließenden Bewegung einer der beiden Hände, deren Finger, wie Bray bemerkte, in der dafür charakteristischen Weise seitlich von einem durch Arthritis vergrößerten ersten Knöchel wegstanden. Zehn Jahre sind eine lange Zeit –
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