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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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die Nacht mit Problemen beschäftigt seien, die an den Lebensnerv der Nation rührten, von einer Stechuhr sollten bestätigen lassen? Der Anspruch dieser Männer auf eine »bescheidene Entschädigung« für ihr Wissen und ihren unermüdlichen Einsatz– »Welch eine Lüge, von Arbeitsstunden zu sprechen, denn die Wahrheit sieht so aus, daß man in einer gehobenen Position nicht wie ein glücklicher Arbeiter um fünf Uhr alles stehen- und liegenlassen kann!« – brachte den Antrag beinahe zu Fall, aber Ogotos unschuldige Enthüllung, daß drei Viertel der persönlich hier anwesenden Delegierten selbst im Jahr unter sechshundert Pfund verdienten, reichte aus, die Entscheidung doch noch zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen. Ogotos Mund zuckte; Bray bemerkte, daß er die Lippen spitzen mußte, um eine Anwandlung von Triumphgefühl zu kontrollieren. Er lächelte weiterhin unsicher dahin und dorthin, wie jemand, der kurzsichtig ist und nicht den Eindruck erwecken will, er ignoriere einen Gruß. Oben auf der Bühne rauchte Shinza.
    In einer eigentümlich widersprüchlichen Reaktion auf Ogotos Erfolg reagierte der Kongreß auf den Aufruf der Parteiorganisation von Tananza, man solle Gehälter über sechshundert Pfund einfrieren, mit Unsicherheit. Jason Malenga, der Finanzminister, ging nicht so weit, tatsächlich zuzugeben, daß die gesamte Basis des politischen Systems durch eine gerechtere Verteilung des Geldes auf dem Spiel stehe, warnte aber davor, daß ein Einfrieren und eine Angleichung der Löhne Investitionen seitens des Auslandes gefährde; es gelang ihm durchzusetzen, daß die Angelegenheit in die Hände eines Sonderausschusses gelegt wurde.
    Es brauchte eine Weile, bis die Offensive der ländlichen Parteiorganisationen anrollte, die eine Organisation für die Landarbeiter und eine Festlegung von – je nach Region unterschiedlichen – Mindestlöhnen forderten. Der Vorsitzende mußte vorerst jene Sprecher aus der Diskussion ziehen, die sich lieber über örtliche Fälle der Ausbeutung von Landarbeitern auslassen als zum Problem selbst etwas sagen wollten; Unruhe und ein Gefühl von widerstreitenden Zielvorstellungen kamen auf. Shinza, Goma sahen aus, als wären sie zu Stein erstarrt. Und dann zeigte sich plötzlich – so als hätte es sie nicht schon die ganze Zeit gegeben – die Grundstruktur dieses Kongresses, und die Verteilung der menschlichen Kräfte in diesem Treffen wurde deutlich sichtbar.Bray kannte diesen Augenblick von all den Konferenzen, Gesprächen und Diskussionen, die er in seinem Leben mitgemacht hatte: Es gab immer einen Zeitpunkt, an dem das, worum es bei den Versammlungen tatsächlich ging, stark und unmißverständlich wie der Geruch von Verbranntem hervortrat. Da viele Parteifunktionäre und -führer gleichzeitig in der Regierung saßen, gab es immer irgendein Mitglied der entsprechenden Regierungsabteilung, das – unter dem Deckmantel seiner Anwesenheit als Parteidelegierter – die Linie der Regierung zum jeweiligen Tagesordnungspunkt vertrat. Der Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums war es, der für diesen Anlaß präpariert worden war. Die saisonbedingte Art der Landarbeit, die primitiven Anbaumethoden und das Überwiegen von unausgebildeten Arbeitskräften, die ihren Einsatz immer noch eher vom Gedanken der bloßen Selbsterhaltung und nicht von dem der Produktivität bestimmen ließen, sagte er mit beinahe gelangweilter Urbanität, mache die Organisation von Landarbeitern zu einem Ding der Unmöglichkeit, und der Ruf danach komme »um zehn Jahre zu früh«. »Geben wir den landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekten der Regierung zuerst eine Chance, die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen.« Dann gab er sich einen volkstümlichen Anstrich. »Schon seit langem haben sich die Leute im Bedarfsfall vom weißen Mann zum Unkrautjäten und zur Ernte anheuern lassen – wollen wir jetzt etwa sagen, daß diese Frauen, Kinder und Greise, die keiner geregelten Arbeit nachgehen können, ihre Möglichkeit, ein kleines Taschengeld zu verdienen und bei der Kultivierung des Landes mitzuhelfen, verlieren sollen, weil die Organisation der Landarbeiter es in Übereinstimmung mit der industriellen Gewerkschaftspolitik verbieten wird? Man kann nicht die rückständigsten Teile des Landes über Nacht in eine modern organisierte Arbeiterkommune verwandeln, weder durch einen Gewerkschaftsvertrag noch durch ein anderes Stück Papier.«
    Cyrus Goma pflichtete in seiner an einer seiner

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