Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
Vom Netzwerk:
daß sie die mißverständliche Andeutung verstanden hatte, die auf Ras’ Unkenntnis einer Bedeutungsnuance des englischen Ausdrucks beruhte.
    »Sie sind doch der, der gemeinsam mit dem Präsidenten im Gefängnis war oder so ähnlich?«
    »Oder so stimmt genau.«
    »Putzen Sie ihn nicht gleich herunter«, wies Emmanuelle Bray zurecht; das war vielleicht ihre Art, mit dem Journalisten zu flirten. Sie ließ sich in das tiefe Sofa mit seinen gebrochenen Federn zurückfallen. Ihre kleinen Brüste lagen schlaff und offenbar nackt unter dem hochgeschlossenen Baumwollkleid.
    »Colonel Bray kannte die ganze Gruppe gut – meinen Vater, den alten Shinza.« Asahe, ganz der einflußreiche Mann, wandte sich überschwenglich an Bray: »Man sollte Shinza hinter Schloß und Riegel bringen, was? Das Problem ist nur, daß der Präsident mit diesen Typen nicht hart genug umspringt.«
    Der Journalist überprüfte noch immer seine Namen. »Sie kennen nicht zufällig einen Mann namens Carl Church? Ich glaube, das war der, der Sie erwähnt hat. War früher beim
Guardian
… etwa fünfundvierzig, kennt Afrika wie seine Westentasche.« Er kannte Carl Church tatsächlich; aber als er anfing, sich nach ihm zu erkundigen, stellte sich heraus, daß der junge Mann ihn nicht kannte – sie waren einander zum ersten Mal vor ein paar Tagen in einer Bar in Libreville begegnet.
    Er wünschte gute Nacht. »Weshalb wollen Sie, daß Edward Shinza hinter Schloß und Riegel kommt, Ras?«
    »Auf alle Fälle sollte man ihn aus der Partei ausschließen. Es heißt, er sei gemeinsam mit Somshetsi in Peking gewesen … Egal. Na, das ist nur eine Vorspiegelung. Dabei ist er rumgefahren und hat sich heimlich mit den Arbeitern aus den Goldminen getroffen, und er hat ihnen Photokopien für den Betriebsstreik gegeben, hat die ganze Sache geschickt aus seinem Versteck gelenkt. Woher hätten die von sich aus wissen sollen, wie man so was macht? Ich hatte die Idee, eine Live-Dokumentation zu drehen, Interviews und so weiter, Gespräche mit den Streikenden – aber der Boß im neuen Info-Ministerium hat abgelehnt … die Sache müsse mit kühlem Kopf abgehandelt werden, und da … Wenn ich’s gemacht hätte, dann wäre Edward Shinza jetzt schon hinter Gittern.«
    Ras Asahe hatte das ganz eigene Auflachen eines vollständigen Selbstvertrauens (auf das Bray die Bayleys einmal hingewiesen hatte), das ganz bestimmt keine Beule oder Kratzer abkriegen und nie versiegen würde. Kein Wunder, daß sich das Wentz-Mädchen, das seinen Vater – das geborene Opfer – liebte, zu jemandem hingezogen fühlte, dessen Überlebensinstinkt derart offensichtlich war. Vielleicht sollte man Hjalmar damit trösten, daß auch Emmanuelle – nicht nur ihr Bruder – deutlich einen unbewußten Selbsterhaltungstrieb zeigte.

 
     
    DER ANTRAG VON Linus Ogotos Parteistelle, der die hohen Gehälter von Regierungsbeamten verurteilte, steigerte die Intensität des Kongresses gleich zu Beginn der Vormittagssitzung. Eine wachsame Stille verfolgte seine ersten Sätze, aber Konzentration und alarmierte Hellhörigkeit drängten nach, während er fortfuhr, die abstrakten Zahlenberge zu übersteigen, und bei der Tankstelle innehielt, an der Regierungsbeamte kostenlos Benzin bekamen. Wie eine Handvoll Karten steckte er die Prozentsätze zusammen, um sich im Namen des Kongresses die Freiheit herauszunehmen, noch einmal eine zu nehmen – und dann noch eine, um schließlich die Größe der wöchentlichen Ration Fleisch vorzuzeigen, die ein Arbeiter sich für seine Leistung kaufen konnte, und ihr im Vergleich dazu die Arbeitsleistung entgegenzuhalten, die einem Beamten sein Hähnchen einbrachte – das manchmal obendrein als Aufwandsentschädigung absetzbar war.
    Eine Frau in Brays Nachbarschaft begleitete diese Offenbarungen mit einem tiefen Brummen – wie ein Cello, das man zufällig mit dem Bogen gestreift hatte. Männer, die zur Einkommensgruppe gehörten, der die Attacke galt, bewiesen die trockene, überlegene Geduld, mit der die Reichen überall auf der Welt die Unwissenheit der Armen bezüglich der tapfer getragenen Bürde ihrer Privilegien quittieren. Als die Debatte begann, erhoben sich überall, wohin das Auge des Vorsitzenden fiel, zwei oder drei von ihnen, ihre Brust voller Eloquenz gegen die Füllhalter gewölbt. Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, ob man denn von hochrangigen Regierungsbeamten erwartete, daß sie sich die Stunden des Schlafes, die sie verloren, während sie bis tief in

Weitere Kostenlose Bücher