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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Wort für Wort … warum hast du mich denn nicht ans Telefon gerufen. Tag und Nacht.« Er beugte sich vor und flüsterte Bray direkt ins Gesicht: »Ich weiß nicht einmal mehr, was Emmanuelle nun am Telefon gesagt hat. Ich weiß nicht einmal, ob sie nicht vielleicht was anderes gesagt hat, ich weiß nicht, ob ich überhaupt mit ihr gesprochen habe.«
    Bray tat nun etwas, von dem er noch vor einem Jahr nicht gewußt hätte, wie er es hätte anstellen sollen. Er packte Wentz fest an beiden Händen und drückte sie kurz nieder auf die Armlehnen des Sessels. »Was ist nun mit Dando …?«
    Eine derartige Bestürzung bemächtigte sich des Gesichts, eine derartige Verwirrung, daß er die Frage wieder fallenließ. Der Mann hatte offenbar Reißaus genommen, ohne auf Dandos Rückkehr zu warten; hatte irgendwie alles fahrenlassen und den Halt verloren … Kein Wunder, daß Rebecca nicht gewußt hatte, was sie mit ihm anfangen sollte.
    »Gut, daß sie sich London ausgesucht haben. Da werden Sie bald Nachricht von ihnen haben. In London kann man die Dinge immer irgendwie richten – Freunde, Geld, und so weiter.« Olivia. Aber auf diesen Gedanken folgte Widerwillen, einen neuen Faden zu spinnen, dieses Haus hier und Wiltshire miteinander in Verbindung zu bringen, durch Emmanuelle einen Beweis dafür zu liefern, daß es hier Leben gab, von dem man in Wiltshire nichts wußte. So als wäre das Mädchen in Emmanuelle erkennbar, die doch so anders war!
    Es war unmöglich, Hjalmar Wentz Linderung zu verschaffen. Er ließ sich einfach nicht ablenken. Versuchte man es, trat Leere in sein Gesicht; im Augenblick war sein gesamtes Denken, seine gesamte Persönlichkeit von dem, was geschehen war, überwuchert. Es zerstörte ihn, war aber gleichzeitig das einzige, was ihn noch zusammenhielt: Beim Versuch, ihn aus diesem Geflecht zu befreien, würde er auf grauenerregende Weise zerfallen.
    Also war es wieder Emmanuelle; Emmanuelle und Ras Asahe; der Freitagnachmittag, und der Telefonanruf aus Daressalam Sonntag abend. An den folgenden paar Abenden saßen die drei in den alten Sesseln aus der Zeit der Kolonialverwaltung in Brays Wohnzimmer, und Hjalmar Wentz redete. Der kummervolle Ausdruck wich nun überhaupt nicht mehr aus seinem Gesicht, und die Mittelfinger der beiden Hände, die unbeweglich auf den Lehnen des abgenützten Sessels auflagen, zuckten, daß die Sehnen, bis hinauf ins Handgelenk, unter der Haut zitterten.
    »Als sie mit mir in den Lagerraum ging – ich frag mich, ob sie da nicht mit mir reden wollte … hm? Vielleicht hab ich da was gesagt … und hab sie damit, ohne es zu wissen, am Reden gehindert …«
    »Oh, das glaub ich nicht. Ihr beide seid so gut miteinander ausgekommen. Wenn sie was hätte sagen wollen, dann hätte sie’s bestimmt getan, nicht …«
    Die blauen Augen waren weiterhin forschend nach innen gerichtet. Bray nahm ihm das Glas aus der Hand, um Whisky nachzufüllen, aber Drinks halfen da nichts, nicht einmal betrunken konnte man ihn machen, er hielt das Glas und vergaß, daß es da war. »Was sollte das heißen, sie hätte ›das Gefühl, daß man alles kann‹? Ich hätte sagen sollen: was meinst du mit ›alles‹.«
    Rebecca hatte Bray gesagt: »Besser für ihn, er macht uns damit verrückt, was er alles falsch gemacht zu haben glaubt, der arme Teufel – dann kommt er wenigstens nicht auf den Gedanken, wie berechnend sie war – bis hin zu der Sache mit ihren Skiern.«
    Bray aber konnte einfach nicht anders, er suchte nach irgend etwas Ermutigendem, Stichhaltigem. »Hjalmar, war das, was sie getan hat, für Sie wirklich so ungewöhnlich? Sie sagen doch, wie sehr sie an diesem Mann hängt. Vielleicht fühlen Sie sich sogar selbst irgendwie für ihre Loyalität ihm gegenüber verantwortlich? Weil Sie und Margot – nun, Ihre Kinder wuchsen in einer Atmosphäre auf, in der Schwarze als Menschen angesehen wurden, deren Interessen man schützen mußte – verstehen Sie, worauf ich hinauswill? – Wenn er in schrecklicher Gefahr war (das müssen wir ihr glauben) und sie ihm bei der Flucht geholfen hat, nun … Sie selbst, damals in Deutschland, als Margot …«
    Er hatte keine Ahnung, was an dieser Bemerkung für Hjalmar eine derart zerstörerische Wirkung hatte. Er sah, wie das Gesicht eines Mannes fiel, fiel, wie es von Balken zu Balken, durch Glas und Staub und die zerfetzten Lianen jener Zufluchtsstätte stürzte, die das Ritual der Diskussion errichtete, um ihn zu bergen. In der Stille, die wie eine

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