Der Ehrengast
nicht wiedergutzumachende Tat zwischen den beiden Männern lag, ertönte die Stimme Rebeccas, die, im Glauben, das Geräusch des fließenden Wassers sei lauter als sie, vor sich hin trällerte. Zu seinem Entsetzen ertappte sich Bray bei einem Lächeln. In Hjalmars Gesicht schien einzig die feine helle Haut intakt zu sein, das Knochengerüst schien sich gelockert zuhaben, und sein Mund stand dauernd ein wenig offen, so als litte er unter Sauerstoffmangel. Dann regte sich schwach etwas in ihm, eine Art Koordination der Augen, ein Bemerken der Existenz anderer Menschen, so als wäre sein wilder Blick auf einen undatierten Fetzen Zeitungspapier gefallen, den er zwischen Schutt und Trümmern herausgeholt hatte.
Bray begann, die Getränke und Gläser in den Garten hinauszutragen. In seiner gegenwärtigen Verfassung nahm Wentz weder den abrupten Wechsel des Gesprächsthemas noch offenbar die Sinnlosigkeit bestimmter Handlungen wahr. Er hob einen Hocker und eine Zeitung auf, stand einen Augenblick lang da, legte die Zeitung langsam nieder, hob sie wieder auf und folgte langsam hinaus zum Feigenbaum. Zu dieser Jahreszeit ließ der Staub in der Luft den Himmel nach Sonnenuntergang chiffonartig erscheinen, mattgrau und rosa, und die Atmosphäre wurde durch das von leichten, unsichtbar schwebenden Staubkörnchen reflektierte Licht gleicher Tönung noch zusätzlich verdichtet. Bray zündete die Lampe an; Hjalmar sagte: »Entschuldigen Sie, daß ich so bei Ihnen hereingeplatzt bin.«
»Das ist schon in Ordnung.«
Aber die Steifheit, mit der er sich selbst schützte, schien sonderbarerweise Wentz zu helfen, während sein teilnehmendes Mitgefühl nichts eingebracht hatte. »Nein, ich sollte nicht hier sein. Sie sollten jetzt allein sein. Ich weiß das.«
»Schon gut, Hjalmar. Letztlich sind die einzigen Geheimnisse, die man bewahrt wissen möchte, diejenigen, die man nur mit sich selber teilt – und sogar das ist ein Fehler.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
Er lächelte. »Ich glaube, ich meine die Zweifel, die einen befallen, wenn man Aspekte seiner selbst, mit denen man nicht länger leben kann, ablegt.«
»Und wenn nichts mehr übrig ist? – was tut man dann, bringt man sich dann um?« Aber die Worte gingen unter, konnten ignoriert werden, weil jetzt Rebecca erschien, duftend von dem Parfum, das er ihr in der Hauptstadt gekauft hatte, und ausrief:»Oh, gute Idee, ja, essen wir heute abend draußen. Soll ich Kalimo bitten? Hast du ein kaltes Bier für mich da?«
Am nächsten Morgen erhielt Bray im
boma
einen Anruf. Stephen Wentz: »Ist mein Vater da? – Ja, jemand hat ihn in Matoko im Bus gesehen, also dachten wir, daß er zu Ihnen gefahren sein dürfte.« »Es geht ihm soweit gut«, sagte Bray, obwohl der Sohn sich nicht danach erkundigt hatte. »Meine Schwester hat telegrafiert.« »Aus London?« »Ja, sie ist jetzt dort.« Bray rief sofort bei sich zu Hause an. Es dauerte eine Weile, bis Kalimo Wentz aufstöberte. Was tat er denn da, allein, den ganzen Tag: Offenbar saß er irgendwo im Garten herum. Schließlich war er dann am Apparat, ein zögerndes Krächzen: »Hallo …?« »Emmanuelle ist in London, sicher und wohlbehalten. Sie hat ein Telegramm geschickt – Ihr Sohn hat mich gerade angerufen.« »In Ihrem Büro?« wiederholte Wentz nervös zur Bestätigung.
»Er will mit keinem von ihnen sprechen«, erklärte Bray Rebecca, die zufällig gerade während seines Telefongesprächs in sein Büro geschlüpft war. Sie hob die Schultern, drückte – halb im Spaß – ihr Kinn zurück, so daß es zum Doppelkinn wurde, an dem er, sie neckend, mit einem Finger entlangfuhr. Frühmorgens an diesem Tag hatte er ihr im Bett von Shinzas Vorschlag erzählt, sich an das Schweizer Büro der ILO zu wenden. Jetzt sagte sie: »Wenn du außer Landes gehst, wird man dich dann auch wieder hereinlassen?« Deswegen war sie in sein Büro gekommen.
»Warum nicht … und wenn ich tu, was er möchte … sag ich, ich fahr nach England.«
»Du fährst nach England.« Sie stand in der Tür.
»Ich fahr vielleicht überhaupt nirgendwohin. Ich weiß nicht, wie ernst ihm diese Sache ist. Ich hatte das Gefühl …« Weiter hatte er ihr nichts erzählt. Olivia hatte er immer alles erzählt. Und wie weit war er damit gekommen? So weit, daß er Olivia jetzt gar nichts mehr erzählen konnte, überhaupt nichts. Was also war die Antwort, zwischen Männern und Frauen?
Er mußte zum Haus von Malemba hinüberfahren; Sampson wollte mit ihm reden,
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