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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Schullehrer schrieb sich jetzt die Bedeutung von »mollify« auf und zeigte jene Fragen, die er hatte beantworten können und mit roter Tinte abgehakt hatte. »Das ist jetzt mein dritter Versuch«, sagte er.
    »Nun, dann viel Glück euch beiden.«
    »Wenn sie zu ihrer Prüfung fährt, nimmt sie unseren Chor zum großen Schülerwettbewerb mit. Letzten Monat haben sie den Siegespreis der Provinz Rongwa gewonnen. Jetzt wissen wir nicht – aber wir hoffen, wir hoffen.« Der Lehrer lächelte.
    Er mußte sich das Fußballfeld ansehen, das die Schüler planiert hatten; ein Stückchen dahinter stand ein Lehmhaus, das im europäischen Stil gebaut war. Seine Veranda wurde von grob zubehauenen Rundhölzern getragen, und wahrscheinlich lebte da der Schullehrer mit seiner Familie. Eine alte Frau erledigte draußen im Freien eine leichte Hausarbeit und hantierte, neben sich zwei oder drei kleine Kinder, mit Töpfen. Der Lehrer sagte: »Wenn ich jemanden hätte, dem ich Fragen stellen könnte, so wie Ihnen …«, aber er wurde verlegen, weil es so aussah, als beklage er sich, und er begann wieder von seinen Schülern zu erzählen.
    Bray, der – wie vielleicht schon tausendmal zuvor in diesem Land – wieder empfand, in welchem Mißverhältnis die Antwort zu dem oberflächlichen Interesse stand, das er gezeigt hatte, sagte:»Was, meinen Sie, ist im Augenblick Ihr größtes Problem?« – und er war überrascht, als sich der Mann – anstatt sich wieder über die Erwartungen zu ergehen, die er nun, da das Land seine Unabhängigkeit erhalten hatte, in das Erziehungsministerium setzte – Zeit ließ, um ruhig nachzudenken, ohne daß er, wie es für Schwarze typisch ist, wegen der langen Pausen verlegen wurde, und sagte: »Wir müssen die Eltern dazu bringen, daß sie die Mädchen zur Schule gehen lassen. Das ist es, was ich schon seit Jahren versuche. Unsere Mädchen müssen zur Schule geschickt werden, ich kann Ihnen die Zahlen zeigen – neunzehnfünfundsechzig, nein, neunzehnvierundsechzig, richtig … da hatten wir nur neun Mädchen, und selbst die stiegen mit dem Ende des zweiten Jahres aus. Ja, nach zwei Jahren. Es gelingt mir nicht, die Eltern zu überreden, daß sie sie weiter gehen lassen. Aber ich versuch’s, ich versuch’s. Ich suche die Eltern persönlich auf, ja, ich fahre aufs Land hinaus. Ich rede mit den Häuptlingen und sage, schaut, das ist jetzt unser Land, wie können wir es da zulassen, daß die Männer Frauen haben, die nie zur Schule gegangen sind? Das wird Ärger geben. Wir müssen die kleinen Mädchen in der Schule haben. Aber sie wollen das einfach nicht hören. Ich habe die Eltern aufgesucht, ich rede mit ihnen. Ja, und dieses Jahr ist es uns also gelungen, zweiundzwanzig Mädchen zu halten, und ein paar davon sind schon in der dritten Klasse. Ich rede langsam mit den Leuten.« Der Mann lächelte und tat einen seiner schnappenden Atemzüge; seine Hand holte aus, wies auf den Busch, seine Vorstadt. »Ich suche sie auf und rede mit ihnen. Ich habe mein Fahrrad.«
    Bray erinnerte sich daran, daß sich die Dinge nun geändert hatten, selbst in Pilchey’s Hotel. »Warum kommen Sie heute abend nicht hinauf ins Hotel – ich übernachte da. Wir könnten uns noch ein bißchen unterhalten.«
    Plötzlich sah der Lehrer erschöpft wie ein Rekonvaleszent aus. Unschlüssig richtete er seine Augen zum Himmel, so als glaubte er, hinter der Einladung müsse etwas stecken, das er nicht begriff. »Um welche Zeit, Sir?«
    »Kommen Sie nach dem Abendessen. Wir trinken dann ein Bier. Und Ihre Frau natürlich auch.«
    Der Mann nickte langsam. »Nach dem Abendessen«, wiederholte er, wie um es sich einzuprägen.
    Als Bray ins Hotel zurückkam, saß Mrs. Pilchey in der Bar hinter ihrem Schreibtisch und machte ihre Buchhaltung. Das dichte rotblonde Haar auf dem großen Kopf war ausgeblichen und hatte nun die gelblichweiße Tönung des Schnurrbarts eines alten Mannes. Sie blickte über ihre Brille hinweg auf, nahm sie ab und ging dann mit einwärts gestellten Füßen auf ihn zu – die Gangart korpulenter, alternder Frauen. »Ich vermutete schon, daß Sie’s sind, als mir der Junge berichtete.« Keine Spur von Sex mehr in der herausfordernden Art, in der sie immer mit Männern umgegangen war; nurmehr rauher Ton und Widerwille. Ohne viel voneinander zu wissen, hatten sie sich nie besonders gemocht, und erstaunlicherweise stellte sich die alte Abneigung sofort wieder ein, so als wären inzwischen nicht zehn Jahre vergangen. Sie

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