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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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immer auszusehen pflegten. Die Unterseite der Kotflügel war lehmüberkrustet, und der Kühler war gepflastert mit den zerschmetterten Körpern und eigentümlich kolorierten Innereien toter Insekten.
    Hitze und Stille umfingen ihn. Er stampfte über die rissige Veranda und blickte in das Dunkel des Hotelinneren: ein Geruch von Bienenwachs und Insektenvertilgungsmitteln; weit und breit niemand zu sehen. Er wußte, wo die Bar war, und das Geräusch der eigenen Schritte begleitete ihn, aber die Tür war verschlossen, und er war sicher, daß die Schiffsglocke neben dem Schild »Davy-Jones’-Locker« nur um der Dekoration willen da hing. Er ging wieder hinaus auf die Veranda; es gab keinen Haupteingang, aber überall waren Türen mit Fliegengittern, die in seinem Rücken ein langgezogenes, trockenes Quietschen erzeugten und in einen verlassenen Speisesaal mit zu Fächern aufgefalteten Servietten auf den Tischen und einer Flucht von mattgrünen, geschlossenen Türen führte. Ein Kinderbett mit übereinandergetürmten alten Kissen und die zerbrochene Marmorplatte eines altmodischen Waschtisches standen in der Biegung des Ganges; ein Tablett mit zwei leeren Bierflaschen und Gläsern darauf stand auf dem Boden.
    Er ging wieder zur Veranda zurück und streckte seine schweren langen Beine auf einem Stuhl aus. Er kannte diese Stunde; alles schlief. Würde er sich jetzt, und sei’s auch nur für kurze Zeit, hinsetzen, würde auch ihn die nachmittägliche Trägheit überfallen. Der Garten war von schmalen Rabatten mit orangenen Lilien gesäumt, und dieselbe riesige, zusammengesackte Voliere, die wie ein schweres Spinnennetz aussah und in der Fischreiher und Perlhühner in krankhaftem Kummer über ihre Gefangenschaftin ihrem Gefieder pickten, war noch da. Er konnte ihre zuckenden, ängstlichen Köpfe sehen. Der Ackerboden war in dieser Gegend gut, und wenn die weißen Bauern in der Bar in Stimmung gekommen waren, dann war es das Ereignis gewesen, einen von ihnen zu den Vögeln zu sperren. Ein gewaltiges Gefühl von Unwirklichkeit überkam ihn. Er entdeckte einen Klingelknopf aus Messing, den man auf Hochglanz poliert hatte, und drückte mit dem Zeigefinger darauf, ohne Antwort zu erwarten. Aber nach einer Weile tauchte ein sehr junger Kellner mit einem roten Fez und einem Blechtablett auf. Er bestellte ein kaltes Bier und erfuhr, daß die
Doña
schlief; die Bar würde bald-bald geöffnet sein. »Ist es immer noch
Doña
Pilchey?« Ja,
Doña
Pilchey schlief. Noch befand er sich nicht im Gebiet der Gala, aber die Sprache, die man hier sprach, war verwandt. Er redete den Jungen auf gala an und wurde verstanden; sie einigten sich, daß das Gepäck aus dem Wagen gebracht würde, obwohl er kein Zimmer bekommen könne, solange
Doña
Pilchey nicht aufgewacht sei. War die Küche zu? Nein, es sah so aus, als sei sie offen. Der Junge würde ihm inzwischen Tee machen.
    Während er ihn trank, fiel der Schatten eines der großen Bäume quer über die Veranda und schien eine Brise mit sich zu bringen. Wie so häufig verflüchtigte sich die Nachmittagshitze unvermittelt; eines der Perlhühner begann zu gackern. Er war nicht mehr daran gewöhnt, stundenlang in einem durchzufahren. Die Inaktivität hatte seinen großen Körper ruhelos gemacht. Ohne bestimmtes Ziel marschierte er los, wenn er auch diese Straße, die von der Hauptstraße zu dem etwa zwei Meilen weit entfernten Matoko
boma
führte, kannte. Es war angenehm, auf dem roten Sand dahinzugehen – während des Monats in der Hauptstadt war er, außer in den Straßen der Stadt, nie wirklich zu Fuß gegangen; niemand ging zu Fuß –, und das glatte, dicke, schulterhohe Gras neigte sich unter seinem eigenen Gewicht zu beiden Seiten der Straße. Scharlachrote Webervögel mit schwarzer Gesichtszeichnung schnellten von den Eingängen zu ihren Nestern in die Höhe oder hingen kopfüber vor diesen herab. Einsteiniger Fahrweg, der durch gekalkte Steine und Aloen markiert war, schlängelte sich hinauf zu einem kleinen Schulhaus und führte dann wieder abwärts in eine Senke. Er machte den kleinen Umweg, um seinem Spaziergang irgendein Ziel zu geben. Da war der Garten vor der Schule – ein bißchen Mais und Bohnen, ein paar an Stöcken gezogene Tomaten – das baumelnde Eisending, das als Schulglocke diente, und – als er an der offenen Toreinfahrt vorüberging – der Schullehrer selbst, der über seiner Arbeit saß. Der Mann sprang auf und fing sofort an, sich zu entschuldigen, so als hätte er

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