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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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Arms Hotel vorbei, dessen Fassade von Wespennestern, die wie Pockennarben aussahen, übersät und an dem ein Schild »Zu verkaufen« angebracht war (wieder einer, der »machte, daß er rauskam«), und dann war gar nichts mehr da – und alles: diese eine eben dahinführende Straße, die Bäume, der Bambus und das plötzlich offene Land der
dambos
, wo hinter hohen Gräsern Wasserstellen lagen, und dann sah er schließlich wieder den vereinzelten, langschwänzigen Würger, den man offenbar immer an solchen Stellen antraf, und der – wie der Pinselstrich eines chinesischen Ideographen – mit seinen tiefschwarzen Schwanzfedern wippte.
    Er fuhr den ganzen Vormittag und begegnete nicht mehr als einem Dutzend Wagen und dem kopflastigen Bus, der offenbar noch immer zweimal die Woche die Strecke von der Grenze nach Tansania herunterfuhr. Kam er in die Nähe eines Dorfes, so tauchten unvermeidlich ein paar Fahrräder und Müßiggänger auf. Hier und da am Rande des schweigenden Waldes lehnten Säcke voll Holzkohle. Die Leute lebten tief im Inneren dieser Landschaft, so als wäre sie ein Haus; ihre Behausungen waren leicht und flüchtig. Immer wieder kamen ihm diese Dinge, die er vergessen hatte, ins Gedächtnis zurück – nein, erlebte er sie aufs neue. Im Lauf der Jahre hatte er in England manchmal Träume gehabt, die in diesem Land zu spielen schienen, aber es war gar nicht dieses Land gewesen; und selbst das bewußte Sichin-Erinnerung-Rufen war nichts anderes als ein psychologisches Gedächtnis – man suchte etwas aus, damit es zu den Gefühlen paßte, die sich mit einem bestimmten Zeitpunkt und einem bestimmten Ort verbanden.
    Nachdem er Dandos Haus einmal verlassen hatte, war es für ihn nicht gegenwärtiger als Wiltshire. Er genoß eine Art Freiheit, von der er wußte, daß sie nicht länger währen würde, als bis sich das Wiedererkennen der Umgebung in eine gedankenlose Selbstverständlichkeit verwandelt haben würde und er sie nicht mehrals die Vergangenheit, in die er zurückgekehrt, oder eine Gegenwart, in die er noch nicht eingedrungen war, in sich bewahren und betrachten konnte.
    Er suchte die Mission der Weißen Väter am Rungwa-Fluß auf, aber Pater Benedict war nicht da, und er merkte, daß keiner der jüngeren Patres wußte, wer er war. Im Refektorium, wo man ihm Tee servierte, flogen noch immer die Schwalben von ihren Lehmnestern zwitschernd ein und aus. Ein von einem Baum herabhängendes Stück Eisen, gegen das mit einem Stock geschlagen wurde, erzeugte ein lautes Scheppern, das ihm vertraut war. Es zeigte das Ende des Schultags an, und in den heißen Frieden drangen Schreie und das gedämpfte Getrampel nackter Füße. Die Patres verkauften ihm freundlicherweise ein paar Gallonen Benzin – einer der beiden arbeitete grinsend und mit hin und her schwingendem Rosenkranz an der Handpumpe, der andere stand daneben, die Hände unter den Ärmeln seiner Soutane versteckt, die großen, bläulichen Junggesellenfüße in den grobgeflochtenen Sandalen, einer knapp neben dem anderen. Die Patres waren scheu wie junge Mädchen. Weiter weg balgten und schnatterten die schwarzen Schuljungen, und als er ihnen Grußworte zurief, lachten sie und riefen zurück.
    In diesem Teil des Landes lagen unweit der Straße große Dörfer, von denen durch den Wald hindurch Rauch aufstieg. Wegen der Art und Weise der Kultivierung des Bodens, die durch Stutzen von Ästen erfolgte, die man zur Gewinnung von Pottasche rund um den Stamm herum verbrannte, stieß man überall auf druidische Zauberkreise. Zeichen neueren Datums wiesen in den Busch: »Freedom Bar«, »New York Bar«, »Independence Bar« – krakelige Buchstaben, die in englischer Sprache auf Holzstücke gemalt worden waren. Aber die Generation, die in den letzten zehn Jahren herangewachsen war, war genauso arm und hatte die gleiche stumpfe Haut wie ihre Väter.
    Er hatte vorgehabt, die Nacht in dem alten Pilchey’s Hotel in Matoko zu verbringen, dem Haus, in dem er gewöhnlich Station gemacht hatte, und das auf halber Strecke lag. Er war früher da,als er gedacht hatte; er war schon fast entschlossen weiterzufahren, aber er wußte nicht, ob das staatliche Rasthaus, das früher sechzig Meilen weiter nördlich an der Rindertränke gelegen hatte, noch immer da war. Die Asphaltstraße lag schon weit hinter ihm, und der häßliche, kleine rote Wagen, aus dem er ausstieg, um sein zerknittertes Hemd säuberlich zurück in die Hose zu stecken, sah genauso aus, wie Wagen hier oben

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