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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Praktikum beworben habe, weil man danach gute Chance habe, auf die Henri-Nannen-Schule zu kommen.
    Henri Nannen, wiederholte Fil, und Daniel erklärte, der vielleicht wichtigste deutsche Journalist der Nachkriegszeit, weil er das irgendwo im Netz gelesen hatte.
    Der Vater sagte daraufhin nichts zum Berufswunsch, sondern lächelte und begann im Plauderton über Nannen zu reden – über den Mann zu referieren. Ob Daniel wisse, dass der frühere Stern -Chefredakteur ein Nazipropagandist gewesen sei, bei einer SS -Einheit in Süditalien gedient habe, die den bemerkenswerten Namen »Südstern« trug, bemerkenswert, weil er die Zeitschrift, die er nach dem Zweiten Weltkrieg gründete, offensichtlich nach der alten Einheit benannt habe. Dass Nannen nach dem Krieg alte NS -Kollegen bei sich in Brot und Lohn gebracht habe, zum Beispiel dem holländischen Nazi Willem Sassen ein Interview mit Adolf Eichmann abkaufte, dem gleichen Sassen, der in den siebziger Jahren als PR -Berater für südamerikanische Militärdiktatoren arbeitete, für Stroessner und Pinochet, und dass Nannens Stern dann während des Eichmann-Prozesses 1961 ausgerechnet dem Staat Israel Nazi-Methoden vorwarf. Vielleicht der deutscheste Journalist der Nachkriegszeit, stellte Fil spöttisch fest, und Daniel überlegte: Eichmann-Prozess? Worum war es da gegangen? Um einen deutschen Kriegsverbrecher, ja. Aber Daniel wollte nicht nachfragen, es hatte nichts mit seinem Anliegen zu tun, er hatte über seine Ausbildung reden wollen, über seine Zukunft als Journalist, hatte mit Fil über sich reden wollen, nicht über deutsche Nachkriegsgeschichte.
    Auf dem Rückweg nach Göttingen, Daniel saß auf der Busfahrt neben Steffen, sie hörten das neue Album von Gorillaz, einer rein virtuellen Band, die aus Comic-Figuren bestand, hatte er sich über Fil geärgert. Ja, der Vater hatte mit dem nicht ausgesprochenen Vorwurf recht: Daniel war nicht politisch, er verstand nichts davon, Journalist wollte er eigentlich nur werden, um Geld zu verdienen, monatlich einfestes Gehalt zu beziehen, etwas einigermaßen Interessantes zu machen.
    Und wenn schon? Das Leben das Vaters war eine Farce, so wie einst der Vater konnte man heute nicht mehr leben.
 
    Am nächsten Tag lässt Daniel die Uni ausfallen, fährt aber auch nicht ins Krankenhaus, sondern bleibt lange im Bett liegen, steht schließlich nur auf, um sich eine Badewanne einzulassen. Juni, und immer noch kalt.
    Den Blick auf das Milchglasfenster gerichtet, liegt er über eine Stunde im Wasser, betrachtet den Dampf, der kräuselnd von der Oberfläche aufsteigt, überlegt, ob er ins Krankenhaus fahren soll, sagt zu sich selbst: Warum sollte ich mich um jemanden kümmern, der sich nicht um mich gekümmert hat?, fragt sich, ob ihn Fils Zustand wirklich berührt, die Verschaltung des Vaters mit der Maschine, oder ob da nur der beunruhigende Gedanke ist, es könnte sich um eine Erbkrankheit handeln.
    Die Wanne verlässt er erst, als seine Haut aufgeweicht ist, die Handflächen völlig zerfurcht aussehen, und macht sich, obwohl es ihm immer noch unvorstellbar erscheint, das Angebot des Vaters anzunehmen, dann doch auf den Weg zu dem Freund mit dem eigenartigen Namen: Beule.
    Der Fremde, der Freund des Vaters, ist nicht weiter überrascht, als Daniel vor seiner Tür steht und sich als Fils Sohn vorstellt. Er erinnert sich, Daniel ein paar Mal gesehen zu haben, als der noch ein Kind war, hat Fil vom Sohn reden hören, ist über Daniels Leben, in Göttingen bei der Mutter aufgewachsen, studiert seit ein paar Monaten in Berlin, überraschend gut informiert. Auch über den aktuellen Zustand des Vaters weiß der Freund Bescheid, er erzählt, dasser am Morgen auf der Intensivstation gewesen sei, mit den Pflegern gesprochen, ein bisschen recherchiert habe, was bei Daniel für einen Augenblick, einen kurzen Moment so etwas wie Schuldgefühle auslöst – Schuldgefühle ohne Schuld.
    Sie gehen in die Küche.
    Einen Kaffee?
    Lieber einen leichten Tee, antwortet Daniel.
    Leicht?
    Einen Darjeeling.
    Er kann Schwarztee haben.
    Dass Darjeeling schwarzer Tee sei, erklärt Daniel.
    Er bleibt am Fenster lehnen und beobachtet, wie der Freund des Vaters Wasser in den Kocher lässt. Der Mann ist groß, blond, in Fils Alter, und sieht nicht besonders attraktiv, nicht besonders interessant aus. Schlecht gekleidet, ungepflegt, ein bisschen verbissen. Ein typischer Achtziger, geht es Daniel durch den Kopf – das Treppenhaus bemalt, es riecht nach

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