Der einsame Baum - Covenant 05
»Ich erhebe keinen Anspruch, auf eure Entscheidung einen Einfluß zu besitzen. Doch ich ersuche euch, uns zu begleiten. Hohl befindet sich außerhalb eures Beistands. Und der Riesenfreund sowie die Auserwählte bedürfen jedweder Unterstützung.«
Brinn neigte ein wenig den Kopf zur Seite, als lausche er einer stummen Beratung. »Unser Dienst ist dem Ur-Lord und im Namen des Ur-Lords auch Linden Avery angediehen«, erklärte er schließlich. »Wiewohl's uns nicht behagt, daß Hohl im Stich gelassen werden soll, wollen wir uns deinen Worten nicht verschließen.«
Daß Hohl im Stich gelassen werden soll. Linden stöhnte auf. Jedes Wort, das der Haruchai sprach, legte ihr ein neues Verbrechen zur Last. Mehr Blut an ihren Händen, obwohl sie einen Eid geschworen hatte, jedes Leben zu retten, das sich retten ließ. Vielleicht hatte Brinn recht. Vielleicht war ihr Entschluß bloß eine weitere Weigerung. Oder etwas Schlimmeres. Bist du nicht schlecht? Doch sie fühlte sich plötzlich zu schwach, um noch mehr zu sagen. Ihre Sicht verschwamm vom Sonnenschein wie von Schweiß. Als Cail ihr seinen Arm bot, hatte sie keine Wahl, sie mußte daran Halt suchen. Sie war nicht mehr dazu fähig, sich aus eigener Kraft aufrecht zu halten. Während sie sich den Gefährten anschloß, die den Rückweg antraten – wieder längs des Callowwail , in der Richtung zum Woodenwold und dem Ankerplatz der Sternfahrers Schatz –, war sie halb blind vom Sonnenlicht, aus Schwäche und aufgrund der drangsalhaften Notwendigkeit, letzten Endes im Recht zu bleiben. Die Maidan schien sich vor ihr in endlose Fernen zu erstrecken. Nur das immer vernehmlichere Rauschen des Flusses kennzeichnete ein Vorankommen, gab darüber Aufschluß, daß das Gras nicht war wie in Elemesnedene, nicht eigenschafts- und grenzenlos. Cails Hilfe war für Linden ebenso bitter wie unentbehrlich. Sie vermochte die Nachsichtigkeit von Cails Hilfsbereitschaft nicht richtig zu durchschauen. Womöglich war es diese sonderbare Eigentümlichkeit der Haruchai gewesen, die Kevin Landschmeißer zum Ritual der Schändung getrieben hatte. Wie anders hätte er, wenn ihm solche Männer wie die Bluthüter zu Diensten gestanden hatten, seinen Selbstrespekt bewahren sollen?
Der Callowwail warf in turbulenten Bruchstücken das Blau des Himmels an ihn zurück. Linden klammerte sich auf ihre Weise an ihren Selbstrespekt, indem sie über Hohl nachdachte, sich an alles zu erinnern versuchte, was er getan hatte. Er war völlig passiv geblieben, als er in der Sarangrave-Senke wegen der durchgedrehten Landläufer in Treibsand geriet. Trotzdem hatte er einen Weg gefunden, um wieder zu den Gefährten zu stoßen. Und man konnte doch wohl davon ausgehen, daß er seine eigenen, unbekannten Gründe gehabt hatte, als er das Risiko einging, Elemesnedene aufzusuchen?
Allmählich klärte sich Lindens Blickfeld. Nun konnte sie voraus die wunderbare Herbstlandschaft von Woodenwold den Horizont säumen sehen. Bald würden sie und ihre Begleiter zwischen den Bäumen sein. Und bald ...
Ein urplötzliches, krawallartiges Läuten der Glöckchen brachte Linden ins Torkeln. Ohne Cail als Stütze wäre sie niedergestürzt. Die Elohim hatten, seit ihre Besucher von ihnen aus dem Clachan gewiesen worden waren, Schweigen bewahrt; doch jetzt zeugten die Glöckchen in Lindens Kopf von Entrüstung und Verzweiflung, zeterten in Weh und Wut. Pechnase kam, unterstützte Cail dabei, Linden auf den Beinen zu halten. »Auserwählte?« fragte er leise und eindringlich. »Was ist dir?« Sein Tonfall entsprach der Beklommenheit und Blässe ihres Aussehens.
»Hohl«, keuchte Linden durch das lautlose Lärmen der Glöckchen. Ihre Stimme klang so schwächlich und losgelöst, als könnte sie gar nicht ihr gehören. »Er versucht zu fliehen.« Im nächsten Moment schreckte eine Detonation, die einem Donnerschlag ähnelte, die Gruppe auf. Der wolkenfreie Himmel verdüsterte sich; gegeneinander gerichtete energetische Ausbrüche verdunkelten die Sonne. Ein ausgedehntes Zittern, vergleichbar mit dem anfänglichen Grollen eines Erdbebens, durchlief den Untergrund. Die Riesen riefen durcheinander. Darum bemüht, im Gleichgewicht zu bleiben, bildeten die Haruchai zum Schutz einen Kreis um Linden und Covenant. Als Linden sich umblickte, in die Richtung der Callowwail -Quelle spähte, sah sie, daß das Wasser in Flammen stand. In heller, lodernder Glut verbreitete ein heißer Schwall von Energie Flammen flußabwärts. Ihre Stoßwelle lohte
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