Der einsame Baum - Covenant 05
die lange Bürde ihres Kriegs auf Leben und Tod wider die Sandgorgonen der Großen Wüste. Heute aber wird von ihnen erzählt, sie seien Protze geworden.«
Protze? wunderte sich Linden. Sie hatte keine Ahnung, was Blankehans meinte. Aber der springende Punkt seiner Darlegungen war ihr klar: er hatte seine Zweifel hinsichtlich des Empfangs, den man der Sternfahrers Schatz im Hafen von Bhrathairain bereiten mochte. Ernst wandte sich Linden an die Erste. »Falls Covenant und ich nicht hier wären – wenn ihr die Suche ohne uns betreiben müßtet –, was würdet ihr dann tun?«
Der Blick, den die Erste ihr widmete, war frei von der vagen Besorgnis, die Blankehans beunruhigte; er war so direkt und grimmig wie eine blanke Klinge. »Auserwählte, ich habe mein Schwert verloren. Ich bin Schwertkämpferin, und im Ritus meiner Weihe war es mir als Wahrzeichen des Vertrauens und meiner Tüchtigkeit verliehen worden. Sein Name ist allein mir und jenen bekannt, die's mir überreicht haben, und selbiger Name darf nicht enthüllt werden, solange ich unter den Schwertkämpfern unserer Heimat Ansehen genieße. Durch eigene Torheit bin ich seiner verlustig gegangen. Ich bin tief beschämt. Doch ich muß eine Waffe haben. Ohne Waffe bin ich weniger als eine Schwertkämpferin ... weniger als die Erste der Sucher. Die Bhrathair werden für ihre Handwerkskünste in der Fertigkeit von Waffen weithin gerühmt.« Ihr Blick blieb fest. »Dennoch wollte ich nur um meiner selbst willen die Suche nicht verzögern. Vielmehr täte ich meinen Rang als Erste der Sucher einem anderen abtreten und mich mit anderweitigen Diensten bescheiden, wie sie meinen Fähigkeiten entsprechen.« Pechnase hatte seine Augen mit einer Hand bedeckt, schmerzlich berührt von dem, was er hörte; aber er unterbrach seine Ehefrau nicht. Jetzt verstand Linden die ungewohnte Schwermut, mit der er ihre vorherigen Fragen beantwortet hatte; er wußte, was der Entschluß, den Hafen von Bhrathairain nicht anzulaufen, für seine Frau bedeuten würde. »Aber es ist klar ersichtlich, wessen Sternfahrers Schatz bedarf«, sprach die Erste weiter, »und angesichts dessen sowie der Nähe von Bhrathairealm wollte ich nicht zaudern, dorthin Kurs zu nehmen, sowohl eingedenk der Hoffnung für die Dromond wie auch meiner eigenen. Die Wahl zwischen Aufschub und Tod ist leicht zu treffen.«
Ihr Blick ruhte unverwandt auf Linden; und schließlich senkte Linden die Augen. Das offene Eingeständnis und die beharrliche Rechtschaffenheit der Ersten bewegten sie. Linden hatte das Empfinden, sämtliche Riesen seien ihr nicht allein an Körpergröße überlegen. Unvermittelt kam es ihr wie eine Anmaßung vor, daß sie darauf bestand, in solcher Gesellschaft Entscheidungen zu fällen. Covenant hatte sich seinen Platz unter den Riesen verdient; und ebenso unter den Haruchai . Sie dagegen besaß kein Recht zu so etwas. Sie forderte die Verantwortung, die Macht zum Entscheiden, aus keinem anderen Grund als dem Bedürfnis, ihre Gier nach anderen Arten von Macht zu unterdrücken. Doch dadurch war sie der Verantwortung und der Riesen unwürdig. »Na schön«, sagte sie, darauf bedacht, Covenant nachzueifern. »Ich hab's kapiert.« Mit einer Willensaufbietung hob sie den Kopf, verdrängte ihren insgeheimen Konflikt, um die Blicke der Riesen erwidern zu können. »Ich glaube, wir sind in der gegenwärtigen Situation zu vielen Risiken ausgesetzt. Es würde dem Land nichts nutzen, wenn wir verhungern oder ersaufen. Versuchen wir's mit dem Hafen.«
Für einen Moment starrten Blankehans und die anderen sie an, als hätten sie von ihr einen anderen Bescheid erwartet. Dann fing Pechnase gedämpft an zu lachen. Seine Mundwinkel zuckten freudig, ehe sich Frohsinn rasch über sein ganzes Gesicht ausbreitete. »Seht da, Riesen!« sagte er. »Habe ich nicht geschworen, daß sie zu Recht die Auserwählte genannt wird?« Schwungvoll ergriff er die Hand der Ersten und küßte sie nachdrücklich. Dann eilte er wie ein Wirbelwind der Fröhlichkeit zur Kajüte hinaus.
Ungewohnte Nässe füllte die Augen der Ersten. Flüchtig legte sie in einer Geste der Anerkennung oder des Danks eine Hand auf Lindens Schulter. »Mich verlangt's«, sagte sie mit brüchiger Stimme, »das Lied zu vernehmen, das nun in Pechnases Herz erklingt.« Schroff wandte sie sich ab, um ihre Rührung zu verbergen, und verließ ebenfalls die Kapitänskajüte. Windsbrauts Miene zeigte einen herben Glanz der Zufriedenheit. Sie wirkte beinahe froh, als
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