Der einsame Baum - Covenant 05
Stein, vom unzerstörbaren Fels Schwelgensteins. Während sie in der Hand der Sonnengefolgschaft war, hatte sie sich mit dem Körper in den Granit zu pressen versucht, um sich dem Gibbon-Wütrich zu entziehen. Aber der Stein hatte sie abgewiesen. Covenant zufolge hatten die einstigen Bewohner des Landes in Stein Leben und Schönheit gesehen; jener Fels jedoch war allem gegenüber taub und verschlossen gewesen. Der letztendliche Untergang des Landes wird auf deinen Schultern lasten , hörte sie noch immer den Wütrich sagen. Bist du nicht schlecht? Und sie hatte inwendig aufgeschrien, schrie seitdem praktisch ununterbrochen ihre selbstverachtende Entgegnung. Nein. Nie wieder. Dann sagte die Stimme etwas anderes. »Erhebe dich, Auserwählte!« sagte sie. »Der Ur-Lord ist entführt worden.«
Schweißig vom Alptraum, stieß sich Linden von der Wand ab. Cail legte eine Hand auf ihre Schulter; in ihrer Kehle wollte sich das Heulen Bahn brechen, zu dem Gibbon ihr Anlaß gegeben hatte. Aber die Tür stand offen, ließ Licht ins Zimmer. Cails Miene zeigte keine Spur von Schlechtigkeit und Bosheit. Instinktiv verdrängte Linden ihr lautloses Schreien. »Entführt?« keuchte sie; ihre Stimme glich dem Blut aus einer Wunde. Das Wort klang nach nichts als ununterdrückbarem Beben des Entsetzens.
»Der Ur-Lord ist entführt worden«, wiederholte Cail stur. »Im Auftrag des Wesirs kam die Edle Alif zu ihm. Sie hat ihn mit sich genommen.«
Linden starrte ihn an, tastete sich durch die vom Alptraum zurückgebliebene Verwirrung. »Warum?«
Schatten betonten Cails Achselzucken. »Kasreyn von dem Wirbel wünsche mit Thomas Covenant zu sprechen, lautete ihr Wort.«
Entführt! Eine Messerspitze von Befürchtungen glitt an Lindens Wirbelsäule entlang. »Ist Brinn bei ihm?«
Der Haruchai zögerte nicht mit der Antwort. »Nein.«
Da riß Linden die Augen auf. »Du meinst, ihr habt zugelassen , daß ...?« Schon stand sie auf den Beinen. Ihre Hände packten Cail an den Schultern. »Seid ihr verrückt? Weshalb habt ihr mich nicht geweckt?« Sie war ein wenig größer als er; doch sein unbeirrbarer Blick machte ihn überlegen. Er brauchte nichts zu erwidern, um ihren Vorwurf zurückzuweisen. »Ach, gottverdammt noch mal!« Linden versuchte, ihn wegzuschubsen, aber ihr eigener Kraftaufwand ließ nur sie selbst zurücktaumeln. Sie fuhr herum und hastete zur Tür. »Du hättest mich wecken sollen!« schnauzte sie über die Schulter. Aber sie kannte seine Antwort bereits.
Im Flur begegnete sie den Riesen. Blankehans und Seeträumer waren noch dabei, sich überstürzt anzukleiden, zogen ihre Wämser zurecht. Die Erste dagegen stand schon vollauf zu allem bereit da, ihren Schild am Arm, als hätte sie so geschlafen. Auch Ceer war zur Stelle. Hohl und Findail hatten sich nicht gerührt. Brinn und Hergrom dagegen waren nirgends zu sehen. Die Erste antwortete ernst auf die stumme Frage in Lindens erhitzter Miene. »Wie's den Anschein hat, haben wir des Wesirs Tücke unterschätzt. Ceer hat mir berichtet. Derweil wir schliefen, nahte sich Hergrom, der mit Hohl und diesem Elohim wachte, die Edle Alif. Sie sprach Worte der Höflichkeit und Schmeichelei, holte sodann aber ein Pulver hervor und blies selbiges Hergrom ins Angesicht, so daß er ohne Besinnung niedersank. Weder Hohl noch Findail ...« – ihre Stimme nahm einen scharfen Unterton an – »erachteten's als vonnöten, dagegen einzuschreiten, und sie kehrte ihnen den Rücken zu, als sei allzeit Verlaß auf dieses schnöden Paars Sorglosigkeit. So suchte sie Brinn und den Ur-Lord in ihrem Gemach auf. Das Pulver fällte auch Brinn, und sie führte Covenant mit sich fort. Ceer spürte den unerwünschten Schlaf seiner Genossen und verließ meine Seite. Er erblickte die Edle Alif, wie sie mit Covenant durch diesen Gang davoneilte.« Sie wies den Korridor hinab. »Er nahm die Verfolgung auf. Doch ehe er sie einzuholen vermochte, verschwanden sie.« Linden starrte die Erste an. »Brinns und Hergroms Schlummer währte nur kurz«, beschloß die Schwertkämpferin ihre Darstellung. »Sie haben sich auf die Suche nach dem Riesenfreund begeben – oder dem Wesir. Mich dünkt's, wir täten wohl daran, ihnen zu folgen.«
Das mühsame Wummern von Lindens Herz behinderte ihre Atmung. Was mochte Kasreyn von Covenant wollen, daß er soviel Nachdruck und Verschlagenheit aufwendete, um es zu erhalten? Was kam anderes in Frage als der weißgoldene Ring? Eine Anwandlung von Hysterie schoß in Linden empor. Sie
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