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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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der Hände bedienen. Aber Pechnase half ihm. So schnell wie möglich stiegen die Gefährten nach draußen in die Nacht.
    Als sie den Hof innerhalb des Sandwalls betraten, stellte die Erste die Edle Alif wieder auf die Beine. Blankehans senkte Linden von seinen Armen. Nun sah man, daß sich außer der Bresche in der Mauer des Ersten Runds eine nicht weniger große Lücke im Sandwall befand. Hätte die Sandgorgone über die erforderliche Zeit und Freiheit verfügt, wahrscheinlich wäre die ganze Sandbastei von ihr niedergerissen worden. Doch anscheinend fehlte es dem Geist dieser Ungeheuer an konsequenter Zielstrebigkeit zum gründlichen Zerstören. Vielleicht hatten sie auch nie an vollständige Vernichtung gedacht, sondern lediglich die Hindernisse aus dem Weg geräumt, die zwischen ihnen und ihren obskuren Begierden lagen.
    In der Ferne tönte das Heulen von Sirenen auf. Wüst und schrill wie das Klagen von Stein gellte der Alarm der Sandbastei durch Mondschein und Nacht.
    Aber in Lindens Ohren erschollen andere Laute – die Schreie, die sie ausgestoßen hatte, während sie ihren todgeweihten Vater anbettelte. Obwohl ihr Vater am hellichten Tag gestorben war, hatte Nacht ihre Seele erfüllt. Er hatte auf dem Dachboden in einem halbzerbrochenen Schaukelstuhl gesessen, Blut war ihm aus den aufgeschlitzten Handgelenken geronnen wie ein Ausfluß der Selbstaufgabe. Linden roch den süßlichen Gestank des Bluts, empfand ihre damalige Übelkeit stärker als Cails Griff um ihren Arm. Ihr Vater hatte den Schlüssel aus dem Fenster geworfen, ihr sein Selbstmitleid aufgenötigt, ihr die Macht genommen, ihn zu retten. Finsternis hatte sich aus den Dielen des Fußbodens, den Wänden, seinem Mund zu ihr erhoben – seinem verzerrten Mund, aufgesperrt wie ein schwarzer Abgrund in grenzenloser Gemeinheit und Verachtung, in Triumph, unersättlicher Gier nach Dunkelheit. Wie Hergrom hatte er sie mit Blut besudelt. Der Dachboden, den sie als ihren persönlichen Zufluchtsort betrachtet hatte, war zu einer Kammer des Grauens geworden.
    Die Edle Alif führte die Gefährten westwärts, auf die nächstgelegene Treppe zur Mauerkrone zu. Sie war zu stark angeschlagen, um sich schneller als in zügigem Schrittempo bewegen zu können. Die Erste blieb neben ihr. Durch das Knirschen und die Scharrgeräusche der Füße klirrte leise die Kette, die Blankehans mittrug. In seinem Drang, möglichst bald das Schiff zu erreichen, eilte er den anderen ungeduldig voraus. Cail zog Linden mit. Ihre Füße torkelten unsicher durch den Sand, aber die Leere, die aus Covenants Innerem über sie gekommen war, schloß jedes Widerstreben aus. Sie war hilflos gewesen, ihren Vater nicht zu retten imstande. Sie hatte es versucht – alles versucht, was ihr junger Verstand sich auszudenken imstande gewesen war; in ihrer letzten Verzweiflung hatte sie ihm gesagt, sie würde ihn nicht mehr lieben, wenn er starb. Du hast mich ja sowieso nie geliebt , hatte er geantwortet. Dann war er verblutet, wie um die Wahrheit seiner Äußerung unter Beweis zu stellen: wie um eine Lehre der Finsternis zu erteilen, einer Finsternis, die Lindens Körper noch tagelang gelähmt hatte, während sie tief ins Innerste ihres Wesens einsank.
    Dunkelheit. Das Licht eines Mondes, den nur noch ein Tag von seiner vollen Abrundung trennte und der sich bereits in den Westen neigte. Sirenen. Und dann im Schatten des Sandwalls eine Treppe.
    Die Stufen waren breit. Um Linden, Cail, Seeträumer und Ceer bildeten die übrigen Gefährten während des Hinaufsteigens einen engen Kordon. Lindens erschöpfter Körper war dem Aufstieg und der Schnelligkeit nicht gewachsen. Doch ihr in die Vergangenheit gerichteter Geist unternahm keinen Versuch, um sich Cails beharrlichem Drängen zu widersetzen. Covenant war fort. Von allen Gefährten war anscheinend nur Pechnase anfällig für Ermüdung. Die Deformation seines Brustkorbs drückte ihm auf die Lungen, erschwerte ihm die Fortbewegung, so daß seine Atemzüge röchelten und er wirkte, als müsse er jeden Moment straucheln. Er hätte der einzige menschlich schwache Freund sein können, den Linden besaß.
    Als Cail sie wieder in den Mondschein zog, geriet sie unfreiwillig ins Stolpern. Cail riß sie wieder hoch, so unvermittelt wie der Schrei, der plötzlich über den Sandwall hallte, das Geheul der Sirenen durchdrang wie ein Mißton. »Man hat uns erspäht!« keuchte die Edle Alif. »Vergebt mir! Ich fürchte, ich habe euch in die Irre geführt.« Obwohl sie

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