Der einsame Baum - Covenant 05
tat. Sie trotzte dem Schmerz, raffte sich hoch und betrachtete die Gestalt, die neben ihr ausgestreckt lag. Covenants Körper. Er ruhte auf dem Stein wie gekreuzigt. Aber weder Hände, Füße noch seine Seite waren verwundet; die Wunde war in seiner Brust. Das Messer ragte wie in einem Flehen um Hilfe aus der Stelle zwischen Brustbein und Rippen. Das zähflüssige, so gut wie geronnene Blut bildete eine große Lache, die einem später hinzugefügten Mittelpunkt des Dreiecks ähnelte, das man mit Blut aufs Gestein geschmiert hatte.
Linden ahnte, daß schrecklich viel Zeit verstrichen war, obwohl kaum drei Herzschläge sie von der Höhle des Einholzbaums trennten. Die Verbindung hielt. Covenant ließ ihr weiter wilde Magie zuströmen, versuchte unermüdlich, sie in ihre Welt zurückzubefördern. Und die Verbindung sorgte dafür, daß Lindens übersensitivierte Sinneswahrnehmung bestehenblieb. Sobald sie die Gestalt an ihrer Seite anschaute – das vom nahen Tod verunstaltete Fleisch –, erkannte sie, daß er lebte.
Das Blut, das rings ums Messer hervorsickerte, die inneren Blutungen, der Blutverlust – ihre Wirkung war tödlich; aber noch nicht, noch nicht! Irgendwie hatte die Klinge Covenants Herz verfehlt. Zuckungen von Leben marterten seine Lungen, bebten in den vom Versagen bedrohten Herzmuskeln, die Windungen seines Hirns lechzten nach Leben. Er konnte gerettet werden. Medizinisch gesehen war es noch möglich, sein Leben zu retten.
Doch bevor Lindens eigenes Herz den nächsten Schlag tat, nahm sie etwas anderes wahr, das alles veränderte. Nichts vermochte Covenant am Leben zu erhalten, wenn er nicht auch mit sich selbst das machte, was er gerade mit ihr getan hatte – nicht in seinen zum Tode verurteilten Körper zurückkehrte. Solange sein Geist, der Teil seines Wesens, der zu leben begehrte, abwesend war, konnte sein Fleisch nicht genesen. Sein Körper war von jeder anderen Art der Hilfe zu weit entfernt, selbst zu weit von Lindens Arzttasche. Nur mit der Unterstützung seines Willens gab es eine Möglichkeit, ihm zu helfen. Und sein Wille loderte noch in der Höhle des Einholzbaums, verzehrte sich selbst, um Linden vor dem Verderben zu bewahren. Covenant hatte sie fortgeschickt, so wie Joan von ihm fortgeschickt worden war, so daß er statt ihres sein Leben verwirkte.
Erst ihr Vater. Dann ihre Mutter. Jetzt Covenant. Thomas Covenant, Zweifler und Träger des Weißgolds, Leprotiker und Geliebter, der sie gelehrt hatte, die Gefahren des Menschseins zu schätzen. Er starb vor ihren Augen.
Lindens Herz tat einen Satz. Die Verbindung geriet ins Schwanken. Nein! wollte Linden schreien. Aber ehe das Wort aus ihrem Mund kam, wandelte sie es in etwas anderes um. Während sie sich mühselig aufrichtete, tasteten ihre Sinne an dem magisch-energetischen Strang entlang, der sie mit Covenant verband, rasten durch den Strom wilder Magie zu ihm zurück. Die wilde Magie war alles, über was sie verfügte. Sie mußte sie sich zunutze machen, sie Covenant abringen, falls nötig; zu allem war sie bereit, wenn es ihr nur gelang, seinen Tod zu verhindern. Indem sie jeden noch so geringen Bruchteil ihrer Kraft aufwendete, schrie sie über die Ferne hinweg nach ihm. »Thomas!«
Ihr Schrei sank wie totgeboren in die Wälder. Sie wußte nicht, wie sie erreichen konnte, daß er sie hörte. Sie klammerte sich an die Verbindung, aber die wilde Magie widerstand ihren Bemühungen, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Selbst wenn Linden die gesamte Ausstattung und das ganze Personal einer modernen Unfallstation zur unmittelbaren Verfügung gehabt hätte, wäre es ihr unmöglich gewesen, Covenant zu retten. Der Griff, in dem er die wilde Magie hatte, war zu stark. Die Anstrengung, dank der er sie meistern konnte, hatte ihn so stark gemacht. Er war stark aus Verzweiflung. Und Linden hatte noch nie derartige Macht gehandhabt. In einer direkten Auseinandersetzung um die Kontrolle über seine Macht war sie ihm nicht gewachsen.
Aber ihre hypersensitive Wahrnehmung war noch immer aktiv. Und Linden kannte Covenant genauer, als sie je sich selbst gekannt hatte. Sogar durch die Kluft zwischen den Welten spürte sie seinen tiefen Kummer, seine zum äußersten getriebene Not. Sie wußte ... Sie wußte, wie sie ihn erreichen konnte.
Nicht einmal das Bewußtsein dessen, was der Versuch sie kosten mochte, veranlaßte sie zum Zögern. Sie hatte keine Zeit. Wie eine Verrückte warf sie sich in das heruntergebrannte Feuer, als wäre es ihr persönliches
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