Der einsame Baum - Covenant 05
Schrammen vor. Er beseitigte sie, indem er sie mit Pech zuschmierte und es glättete, bis das Deck eben war, die Masse dann an jeder bearbeiteten Stelle mit einem Bröckchen der Steinplatte zum Erhärten brachte. Obwohl er schnell arbeitete, befleißigte er sich der Präzision eines Chirurgen.
Linden saß an die Wand des Aufbaus gelehnt und schaute ihm zu. Zunächst faszinierten seine Leistungen sie; allmählich jedoch änderte sich ihr Gemütszustand. Der Riese ähnelte Covenant, war begabt mit einer ungewöhnlichen Kraft, zu seltsamer Heilung fähig. Und Covenant war die Frage, auf die sie keine Antwort wußte. In nahezu perverser Beziehung empfand sie die mit ihm verbundene Fragestellung als die gleiche, die sie schon in anderer Art beschäftigt hatte. Warum war sie hier? Warum hatte Gibbon zu ihr gesagt: Geschmiedet wirst du, wie man Eisen schmiedet, um die Vernichtung der Erde herbeizuführen? Weshalb hatte er sie danach einer solchen Marter ausgesetzt, um sie davon zu überzeugen, daß er die Wahrheit sprach? Ihr war, als befasse sie sich schon ihr Leben lang mit diesen Fragen, ohne sie beantworten zu können.
»Ach, Auserwählte.« Pechnase hatte seine Arbeit beendet. Nun stand er mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihr, in seinen Augen Spiegelungen von Lindens Verunsicherung. »Seit ich dich erstmals im greulichen Schlick der Sarangrave erblickte, habe ich dich nicht leichteren Mutes werden sehen. Deine Seele wandert von Dunkelheit zu Dunkelheit, und ihr dämmert kein Morgenlicht. Beglückt dich nicht die Rettung Riesenfreund Covenants und Nebelhorns, großartige Taten, die kein anderer als du zu vollbringen vermocht hätte?« Er schüttelte den Kopf und legte die Stirn in Falten. Dann trat er unvermittelt näher und setzte sich neben Linden an die Wand. »Unser Volk kennt einen Sinnspruch ... Wer hätte in dieser weisen, versonnenen Welt keine Sinnsprüche?« Er musterte sie mit ernstem Blick, obwohl seine Mundwinkel zuckten. »›Durch eine geschlossene Tür fällt kein Licht.‹ Magst du nicht zu mir sprechen? Keine Hand außer der deinen kann diese Tür auftun.«
Linden seufzte. Pechnases Angebot rührte sie; aber sie war so voll von Dingen, von denen sie nicht wußte, wie sie sie formulieren sollte, daß sie sich kaum dazu in der Lage fühlte, darunter eine Wahl zu treffen. »Sag mir, daß es einen Grund gibt«, bat sie nach einem Moment des Schweigens.
»Einen Grund?« wiederholte Pechnase ruhig.
»Manchmal ...« Linden suchte nach einer Möglichkeit, ihr Problem in Worte zu fassen. »Ich bin durch Covenant hierhergelangt. Entweder ist das zufällig geschehen, oder ich habe mit ihm irgend etwas zu tun. Für ihn.« Sie erinnerte sich an den Greis vor der Haven Farm. »Ich weiß es nicht. Das alles ergibt für mich keinen Sinn. Aber manchmal, wenn ich unten bei ihm sitze und ihn betrachte, flößt mir der Gedanke, er könnte sterben, Entsetzen ein. Er hat so vieles, das ich brauche. Ohne ihn existiert kein Grund für meine Anwesenheit. Ich hätte nie gedacht, ich würde mich ...« Sie strich sich mit der Hand übers Gesicht, senkte sie wieder, ließ Pechnase mit voller Absicht soviel ihres Äußeren sehen, wie er konnte. »... ohne ihn so unvollständig fühlen. Aber es geht um mehr als das.« Ich will nicht, daß er stirbt! dachte sie, und ihre Kehle verengte sich. »Ich habe keine Vorstellung, wie ich ihm helfen soll. Jedenfalls nicht richtig. Was Lord Foul und die Gefahr für das Land angeht, hat er recht. Jemand muß das tun, was er versucht, damit nicht die ganze Welt zum Tummelplatz der Wütriche wird. Soviel ist mir klar. Aber was für einen Beitrag kann ich leisten? Ich kenne diese Welt nicht so gut wie er. Ich habe die Dinge nie gesehen , dank deren er das Land so zu lieben gelernt hat. Ich habe das Land nie heil gesehen. Immerhin habe ich versucht, behilflich zu sein.« Sie unterdrückte das alte Weh der Nutzlosigkeit. »Mein Gott, ich habe mich sogar bemüht, mich mit all dem abzufinden, was ich sehen kann, während offenbar niemand sonst es wahrnimmt, und dabei kann es genausogut sein, daß mir bloß der Verstand abhanden kommt. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich an seinem Einsatz für das Land teilhaben soll. Mir fehlt ganz einfach die Macht, um irgend etwas zu tun .« Macht, ja. Ihr Leben lang hatte sie nach Macht gestrebt. Doch ihr Wunsch nach Macht war in Finsternis entstanden und mit ihr inniger vermählt, als jede Hochzeit des Herzens und freien Willens es sein konnte. »Mir
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