Der einsame Baum - Covenant 05
fürchtete.
Aber was sie bewirkt hatte, indem sie mit Covenant sprach, bereitete ihr auch eine seltsame, halbe Erleichterung, eine teilweise Milderung ihrer inneren Angespanntheit. Die Aussprache war zuwenig gewesen, aber immerhin etwas – eine Tat, für die sie vorher noch nie den Mut aufgebracht hatte. Diese Einsicht festigte Lindens Gemüt etwas. Vielleicht war es leichter möglich, sich wiederaufzurichten, als sie bisher gedacht hatte. Zu guter Letzt kehrte sie in ihre Kabine zurück und schwang sich in die Hängematte. Danach schien die Schaukelbewegung der Sternfahrers Schatz Linden langsam und sachte, während die Wellen vorüberrauschten, aus dem Schiffsrumpf zu heben, bis sie versunken war in der Weite und Tiefe der See.
Am folgenden Tag fühlte sie sich stärker. Sie suchte Covenant mit einer gewissen bangen Erwartung auf, um ihn zu untersuchen, weil sie sich fragte, was er, unterm Strich gesehen, von den Dingen halten mochte, die sich zwischen ihnen zugetragen hatten. Doch er begrüßte sie, unterhielt sich mit ihr, nahm ihre Untersuchungsmaßnahmen in einer Weise hin, hinter der eindeutig die Absicht stand, Linden zu zeigen, daß er seine Einwände und Fragen, wie sehr sie dadurch auch provoziert worden sein mochte, nicht als Gegenbeschuldigungen gemeint hatte. Sein Benehmen ließ in merkwürdiger Art durchblicken, daß er so etwas wie Verwandtschaft mit ihr empfand, die Neigung eines Leprotikers zu allen Verwundeten und Verwaisten. Das überraschte Linden, aber gleichzeitig war sie darüber froh. Als sie seine Kabine verließ, hellte das Verschwinden eines unbewußten Stirnrunzelns ihre Miene auf.
Am nächsten Morgen zeigte sich Covenant an Deck. Er blinzelte ins ungewohnte Sonnenlicht, trat aus der backbords gelegenen, seegeschützten Tür unterm Achterkastell und kam zu Linden. Sein Gang war unsicher, infolge der Unvollständigkeit seiner Erholung schwächlich; seine Haut war aus lauter Hinfälligkeit bleich. Aber Linden konnte erkennen, daß seine Genesung gut voranschritt.
Die unerwartete Tatsache, daß sein Bart verschwunden war, verblüffte sie. Seine bloßen Wangen und der Hals schienen in der Helligkeit in regelrechter Ungeschütztheit zu glänzen. Sein Blick bezeugte Verunsicherung, Verlegenheit. Linden hatte sich bereits so an seinen Bart gewöhnt gehabt, daß sie sein Aussehen ohne ihn beinahe als jugendlich empfand. Seine offenkundige Verlegenheit jedoch blieb ihr unverständlich, bis er sich im Tonfall inneren Konflikts äußerte. »Ich habe ihn weggebrannt«, sagte er. »Mit meinem Ring.«
»Gut.« Der Nachdruck ihrer Antwort entgeisterte Linden selbst. Aber sie hatte schlichtweg Behagen an seiner gefährlichen Macht. »Er hat mir nie gefallen.«
Unbeholfen berührte Covenant seine Wange, versuchte mit gefühllosen Fingern die Ausdehnung der entblößten Haut zu erfassen. Dann schnitt er eine wehmütige Miene. »Mir auch nicht.« Er senkte den Blick, als habe er vor, mit einer VBG anzufangen, aber er schaute Linden wieder ins Gesicht. »Aber das macht mir Sorgen. Es beunruhigt mich, daß es so leicht für mich ist, so etwas zu tun.« Die Muskulatur seines Gesichts wölbte sich wie im Gedenken an die Beschränkungen, die früher die wilde Magie im Zaum gehalten hatten, sie nur in höchster Verzweiflung und im Zusammenwirken mit einer anderen Kraft, die als Auslöser diente, ausbrechen ließ. »Ich hab's getan, weil ich versuchen will, die Kontrolle an mich zu bringen. Das Gift ... Ich bin innerlich so völlig durcheinander. Ich muß lernen, mich damit zurechtzufinden.« Während er sprach, schweifte sein Blick aufs offene Meer hinaus. Es erstreckte sich unruhig und tiefblau bis an die Horizonte, ein unendlich kompliziertes Ganzes, so wie Covenant. »Aber es nutzt alles nichts. Ich kann mit dem Feuer erreichen, was ich will – solange ich's nur ganz schwach anwende. Aber ich spüre immer den gesamten Rest in mir, er ist jederzeit bereit zum Emporbrodeln. Das ist, als wäre man gleichzeitig verrückt und geistig gesund. Als könnte ich das eine nicht ohne das andere sein.«
Während sie seine sorgenvolle, verkrampfte Miene musterte, entsann sich Linden daran, was er gesagt hatte. Deshalb muß ich den Baum finden. Und wie er es gesagt hatte. Ehe ich zu gefährlich werde, um weiterleben zu dürfen. Ihn quälte eben jene Gefährlichkeit, die ihn für Linden so unwiderstehlich machte. Einen Moment lang hätte sie gerne die Arme um ihn geschlungen, ihn an sich gedrückt, um den Schmerz
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