Der einsame Baum - Covenant 05
ihr auf den Lippen lag. Es wäre ihr am liebsten gewesen, Chant restlos herunterzumachen und sämtliche Elohim zu beschämen. Sie brauchte Cail an ihrer Seite. Hinter der Gleichgültigkeit von Cails Miene erkannte sie den ganzen immensen Umfang seiner Empörung. Die Dienste der Haruchai verdienten mehr Respekt, als man ihnen hier entgegenbrachte. Doch Linden fühlte sich dazu gehalten, Vorsicht walten zu lassen. Die Gefährten hatten zuviel zu verlieren. Sie durften sich keine offene Auseinandersetzung mit den Elohim leisten. Sie fällte ihre Entscheidung ohne Rücksicht auf die verborgenen Gefahren des Clachan . »Schickt sie zurück auf die Maidan! In der Nähe der Fontäne. Sie sollen dort auf uns warten. Unbehelligt.«
Covenants Miene lohte Linden hitzigen Protest entgegen; aber dann schnitt er eine Grimasse der Resignation. Doch nichts davon bedeutete einen Unterschied. Chant hatte bereits genickt. Unverzüglich entfernten sich die Haruchai von der Anhöhe. Sie bewegten sich keineswegs aus eigener Kraft. Der Grund unter ihren Füßen floß rückwärts, als würden sie im Stehen auf einer Woge abgetrieben. Und unterwegs verschwanden sie, als ob sie sich auflösten. Aber ehe sie vollends aus dem Blickfeld gerieten, fing Linden noch einen durchdringenden Blick Cails auf – einen so vorwurfsvollen Blick, als fühle er sich von ihr hintergangen. Als er fort war, klang seine Stimme in ihr nach. »Wir trauen diesen Elohim nicht.«
Chant schnob. »Mag er von Vertrauen sprechen, wenn er ein geringerer Narr geworden ist. Unsere Angelegenheiten sind ihm über, deshalb gelten sie ihm in seiner Anmaßung wenig. Er darf sich glücklich schätzen, daß er die Folgen unseres Mißfallens nicht zu tragen hat.«
»Euer Mißfallen.« Mühselig beherrschte sich Linden. »Ihr sucht ständig Vorwände, um euer Mißfallen zu zeigen.« Cails letzter Blick hatte sie tief verletzt; und die Tragweite dessen, was sie gerade getan hatte, verursachte ihr ein Zittern. »Wir sind in gutem Glauben zu euch gekommen. Die Haruchai sind der Inbegriff der Vertrauenswürdigkeit. Sie haben eine solche Behandlung nicht verdient. Ich werde von Glück reden können, wenn sie mir jemals verzeihen. Und euch werden sie ganz bestimmt nicht verzeihen.« Die Erste machte eine Gebärde, um zur Mäßigung zu mahnen. Aber als Linden sie mißmutig ansah, erkannte sie in den Augen der Ersten grimmige Befriedigung. Blankehans wirkte bekümmert; Seeträumer dagegen nickte, und Covenants Gesichtszüge zeugten von heftiger Entrüstung und Beifall.
»Um Vergebung.« Binnen eines Augenblicks hüllte sich Chant in Höflichkeit und Gelassenheit wie in ein zweites Gewand. »Das Willkommen, das ich euch bereitet habe, war unziemlich. Wiewohl ihr's nicht wißt, ist's meine alleinige Absicht, eben jenem Zweck dienlich zu sein, der euch zu uns geführt hat. Gewährt mir Vergebung. Ringträger, willst du mit mir kommen?«
Die Aufforderung verblüffte Covenant. »Versuch mich nur zu hindern!« knirschte er dann.
Um seine Einwilligung zu nutzen, wandte sich Linden an Daphin. »Ich bin bereit.«
Daphins Haltung verriet weder Konflikt noch Hochnäsigkeit. »Du bist sehr huldvoll. Ich bin hoch erfreut.« Erneut ergriff sie Lindens Arm und geleitete sie aus der Nähe ihrer Gefährten. Als sich Linden umschaute, sah sie, wie ihre sämtlichen Begleiter sich in verschiedene Richtungen entfernten, jeder zusammen mit einem Elohim. Für einen Moment hatte sie ein vages Gefühl der Unvollständigkeit, als fehle irgend etwas; doch sie schrieb es der Abwesenheit der Haruchai zu und ließ sich von Daphin durch die Wunder von Elemesnedene davonführen. Bald allerdings entzog sie der Elohim ihren Arm. Sie wollte nicht, daß Daphin ihre Reaktionen spürte. Trotz all der Wundersamkeiten empfand Linden den Clachan plötzlich als kalten und freudlosen Ort, an dem Geschöpfe inzüchtiger Abkunft und krauser Gesinnung einen Überschwang mimten, ohne daran selbst inneren Anteil zu haben. Und doch schien Elemesnedene ihr überall und in jeder Beziehung unrecht zu geben. Soweit sie sehen konnte, wimmelte es von verspielten und mutwilligen Inkarnationen: in Teichen schimmerten wahre Regenbogen von Leuchtfischen; Nebel aus Myriaden von Eiskristallen schwebten einher; es gab Blumen, deren jedes Blättlein, jedes Blütenblatt glänzte, als wären sie prunkvolle Pokale. Und jede dieser Verkörperungen war ein Elohim, der Transformationen durchlief, deren Sinn Linden unverständlich blieb. Der ganze
Weitere Kostenlose Bücher