Der einsame Baum - Covenant 05
schillerte ein weiter Himmel ohne Sonne oder Mond oder klar begrenzten Horizont, aber trotzdem von leuchtender Helligkeit und warm. Das Licht schien Sonnenlicht und Mondschein in sich zu vereinen. Es besaß die suggestive Vergänglichkeit der Nacht und das Spezifische des Tages. Und in seinem Zauber enthüllte sich in ungestümer Folge ein Wunder nach dem anderen. In der Nähe wuchs ein einsamer junger Baum ganz in Silber. Obwohl noch nicht hoch, war er so stattlich wie ein Prinz; und seine Blätter umtanzten das Astwerk, ohne es zu berühren. Wie Flocken kostbaren Metalls bildeten die Blätter um den Baum ein Helldunkelmuster, glitzerten und glänzten, indem sie wirbelten. Auf der anderen Seite versprühte eine Fontäne Strahlen aus Farben und Licht. Sie spritzten aufwärts und zerfielen in lautlosen Regen, ehe die Fontäne sie wieder aufnahm. Eine pelzige, einem Schimpansen ähnliche Gestalt hüpfte vorüber, schien zu stolpern, und als sie auf den Boden plumpste, verwandelte sie sich in ein üppiges Gestreu von Blumen. Blüten entfalteten sich auf dem grünleuchtenden Gras, die wie Pfingstrosen und Ritterstern aussahen. In der Höhe flogen wie fleischgewordenes Trillern Vögel. Sie schwirrten im Kreis, sausten aufeinander zu, verschmolzen unvermittelt miteinander, um in der Luft zu einer Feuersäule zu werden. Einen Moment später zersprang sie in Funken, die sich ihrerseits zu Edelsteinen verfestigten – Rubinen und Alexandriten, Saphiren und Porphyren, wie ein Schwaden Sterne; und die Edelsteine schwebten davon, unversehens zu Schmetterlingen geworden. Ein Hügel drehte sich langsam um sich selbst, nahm der Reihe nach, während er sich bewegte, verschiedenerlei geheimnisvolle Umrisse an. Und das waren nur die Zauberhaftigkeiten im näheren Umkreis. Zuhauf boten sich weit und breit weitere Sehenswürdigkeiten: große Statuen aus Wasser; ein Teich, dessen Oberfläche ein Gewebe aufwies wie ein Teppich; Sträucher, die eine endlose Vielfalt anmutiger Formen durchliefen: aneinandergereihte Ausdehnungen von Marmor, die sich von Nichts zu Nichts erstreckten; Tiere, die sich als Vögel in die Lüfte erhoben und als Schnee wieder herabgetrieben kamen; malachitene Silhouetten mit schnellen Schwingen zogen grazile Kreise; es gab Sonnenblumen, so groß wie Riesen, mit übereinander angeordneten, ophitfarbenen Blütenblättern. Und überall ertönte die Musik von Glöckchen: Zimbeln, die ein Carillon klimperten, zu musikalischen Bildern des Klingelns verwobenes Geläut, nach allen Seiten verstreutes Klingen; die mit Metall und Kristall gesprochene Sprache von Elemesnedene. Lindens Sinne konnten unmöglich alles auf einmal aufnehmen; zu sehr verwirrte das Schauspiel, so daß sie nur ein Keuchen nach dem anderen von sich zu geben vermochte. Als das silberne Bäumchen nahebei sich in eine menschliche Gestalt umbildete, sich als Chant entpuppte, schrak sie zurück. Sie konnte kaum glauben, daß das wahr war, was sie sah. Diese ...? O mein Gott! Wie zur Bestätigung ihrer Schlußfolgerung kam ein Schwarm Stare auf den Boden geflattert und verwandelte sich in Daphin. »Hölle und Verdammnis!« hörte sie plötzlich hinter ihrem Rücken Covenant raunen, und da erst bemerkte sie ihre Gefährten. Als sie sich umwandte, erkannte sie, daß sie inzwischen allesamt gefolgt waren – die Riesen, die Haruchai , sogar Hohl. Aber die Stelle, die sie verlassen hatten, war nicht mehr zu sehen. Quelle und Fontäne des Callowwail , der Kalksteinhügel und die Maidan existierten hier nicht. Die Gefährten standen auf einer kleinen, von lauter Wundersamkeiten umgebenen Anhöhe. Für einen Moment blieb Linden noch gänzlich entgeistert. Aber dann packte Covenant sie mit seiner Halbhand am Unterarm, klammerte sich geradezu an sie. Ohne sie anzuschauen, versuchte er eine Frage zu formulieren. »Was ...?« Sein Griff gab ihr einen Halt, mit dessen Hilfe es ihr gelang, sich zusammenzureißen.
»Die Elohim «, sagte sie bloß. »Das sind die Elohim. «
Blankehans nickte, als wäre er in seinem Übermaß an Erinnerungen und Hoffnung völlig sprachlos. Pechnase lachte stumm. Seine Augen schwelgten im Anblick von Elemesnedene . Die Miene der Ersten dagegen war grimmig; die Schwertkämpferin war sich zu deutlich dessen bewußt, daß die Gruppe keine Rückzugsmöglichkeit besaß und ganz darauf angewiesen war, die Elohim nicht zu verärgern. Und Seeträumers Augäpfel über seiner alten Narbe wirkten verwaschen wie von starken Gegensätzen, als wäre das
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