Der einsame Baum - Covenant 05
fühlte das Zauberhafte des Clachan von neuem seine Wirkung auf sie ausüben, sie von ihrem Argwohn ablenken.
Doch während sich die Elohim hinter ihr sammelten, verlor die Landschaft, die zurückblieb, ihre besonderen Eigenheiten, verkam zu einer schwach gewellten Ödnis unter einem Himmel, der aus Mondstein zu sein schien. Ohne die Aktivitäten der Elohim war Elemesnedene auf seine Weise so kahl und leblos wie eine Wüste.
Voraus befand sich die einzige herausragende Landmarke, die Linden im gesamten Clachan aufgefallen war – ein weiter Kreis aus toten Ulmen. Wie sie so himmelwärts wiesen, ihre Äste ängstlichen Schildwachen glichen, umschrieben sie eine Stelle, die sie schon vor Äonen zugrunde gerichtet haben mußte. Lindens Sinne konnten die natürliche Beschaffenheit des Holzes erkennen, die saftlose Zersetzung in ihrem Innern, den schwarzen, unvordenklichen Tod in ihren erhobenen Gliedern. Allerdings vermochte sie nicht zu ersehen, wieso natürliche Bäume am Wohnsitz der Elohim keine Lebensfähigkeit besaßen. Während sie sich den Ulmen näherte, begleitet von Daphin, Morgenlicht und einer schillernden Gefolgschaft anderer Elohim, sah sie, daß sie einen breiten, flachen, völlig bloßen Hügel umstanden, der von gedämpftem Licht glomm, perlig wie der Glanz von Molchlaich. Irgendwie machte der Hügel den Eindruck, die Quelle der gesamten Helligkeit in Elemesnedene zu sein. Oder vielleicht war dieser Effekt darauf zurückführbar, wie sich der Himmel über der Erhebung verdunkelte und herabzuhängen schien, so daß Hügel und Himmel eine Art von Angelpunkt bilden, um den die abgestorbenen Ulmen wie in erstarrtem Reigen aufgereiht standen. Als Linden den Kreis der Bäume durchquerte, hatte sie das Gefühl, ins Zentrum einer übersinnlichen Manifestation zu treten. Von allen Seiten trafen immer mehr Elohim ein. Sie glitten in ihrer eigentümlichen Leichtigkeit heran wie Sinnbilder all dessen, was der Erde Herrlichkeit verlieh; und für einen Moment erfüllte ihr Anblick Lindens Kehle mit Beklemmung. Sie konnte die Konflikte nicht beilegen, die dies Volk in ihr hervorrief, wußte nicht, wo die Wahrheit lag. Aber für diesen einen Augenblick war sie sicher, nie wieder irgend jemanden zu sehen, der über eine solche Gabe zur Schönheit verfügte. Aber dann lenkte die Ankunft ihrer Gefährten, die aus verschiedenen Richtungen außerhalb des Kreises kamen und die Erhebung erklommen, ihre Aufmerksamkeit ab. Blankehans hielt den Kopf hoch erhoben, und Verzückung erhellte seine Miene, als hätte er seine kostbarsten Erinnerungen noch einmal durchleben dürfen. Von der anderen Seite kam Pechnase. Als er in seiner Nähe die Erste ebenfalls zurückkehren sah, grüßte er sie mit einem liebevollen Zuruf, der Linden Tränen in die Augen trieb; für einen Moment empfand sie alles als makellos und unschuldig. Sie zwinkerte das Verwaschene der Tränen fort und erspähte Seeträumers Hünengestalt, die sich soeben hinter der Hügelkuppe zeigte. Wie die Erste teilte er Blankehans' Begeisterung offensichtlich nicht. Die Haltung der Ersten war grimmig und beherrscht, als hätte sie im Laufe ihrer »Prüfung« einen anstrengenden Sieg errungen. Seeträumers Gesicht dagegen besaß sogar einen Ausdruck akuter Not, als habe er eine Gefahr erkannt, die seine Stummheit ihm zu erklären verwehrte. Durch die bedrohlichen Andeutungen in seinen Augen in Bestürzung versetzt, blickte Linden über den Hügel aus, hielt nach Covenant Umschau. Für ein Weilchen war er nirgends zu sehen. Aber dann kam er um die Anhöhe auf sie zu.
Er bewegte sich, als wären all seine Muskeln bis zum äußersten angespannt und im Zerfransen begriffen; die innere Verkrampfung machte seine Emanationen regelrecht schrill. In irgendeiner Hinsicht mußte seine Überprüfung ihm viel abverlangt haben. Trotz seiner Zermürbtheit, seiner weiß hervorgetretenen Fingerknöchel flößte sein Anblick Linden Erleichterung ein. Nun war sie nicht mehr allein. Unbeholfen näherte er sich ihr; seine Augen waren in ihrem Ausdruck von Verstocktheit scharf wie Scherben aus Marienglas. Als Covenant mit seinen aufgewühlten Gefühlen näher trat, wich Lindens Erleichterung einer Aufwallung von Schrecken und Erbitterung. Einige Schritte hinter ihm folgte Chant; er schmunzelte, als sähe er sich in der Rolle eines Viehtreibers. Was hast du mit ihm angestellt? hätte sie Chant am liebsten angeschrien. Covenant blieb vor ihr stehen. Er hatte die Schultern eingezogen. »Bist du
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