Der einsame Baum - Covenant 05
beginnt.« Infelizitas? fragte Linden stumm. Aber die Glöckchen gaben keine Antwort. Die Elohim hatten sich alle nach links gewandt. Als Linden in dieselbe Richtung schaute, sah sie zwischen den Ulmen eine Gestalt aus Licht kommen. In ihrem Helligkeitsschein hoben sich die Ulmen in schwarzen Umrissen ab. In würdevollem, stattlichem Gang wie jemand, der ein Rauchgefäß schwenkt, betrat die Gestalt den Kreis, durchmaß die Versammlung und erstieg die Hügelkuppe. Droben verharrte sie und drehte sich den Gefährten zu. Es handelte sich um eine hochgewachsene Frau, deren liebliche Schönheit von so durchsichtigem Glanz war wie das Leuchten in einem Edelstein. Ihr Haar schimmerte. Ihr geschmeidiger Körper erzeugte ein Schillern wie ein See im Mondschein. In ihr Gewand waren Diamanten gewoben, und zusätzlich schmückten es Rubine. Sie zeichnete sich in einer Aura der Pracht gegen die Bäume und den Himmel ab. Das also war Infelizitas; sie stand auf der Erhebung wie die Krönung aller Wunder von Elemesnedene . Ihr Blick schweifte souverän über die Gefährten, blieb auf Linden haften, fand und erwiderte ihren Blick. Sobald sie diese Augen auf sich ruhen fühlte, drohten Lindens Knie nachzugeben. Sie verspürte das Verlangen, vor dieser erhabenen Gestalt Demut zu zeigen. Auf eine solche Frau konnte man gar nicht anders als mit Unterwürfigkeit reagieren. Blankehans befand sich bereits auf den Knien, und die anderen Riesen folgten seinem Beispiel. Covenant jedoch blieb aufrecht stehen; er glich einer aus hartem Bein und Unnachgiebigkeit beschaffenen Statue. Und kein Elohim erwies Infelizitas über das allgemeine, wie gebannte Schweigen hinaus irgendwelche Ehrerbietigkeiten. Nur die Musik der Glöckchen klang nach Verehrung. Linden drückte ihre Knie durch und bemühte sich, vor der Übermächtigkeit des Blicks dieser Frau zu bestehen. Dann schaute Infelizitas fort; und Linden wäre nun fast aus Erleichterung niedergesackt. Infelizitas hob die Arme und wandte sich mit einer Stimme an die Versammelten, die an das Klingen zarten Kristalls erinnerte. »Ich bin gekommen. Laßt uns beginnen!«
Ohne weitere Ankündigung nahm das Elohim -Fest seinen Lauf. Der Himmel verfinsterte sich, als bräche über Elemesnedene eine unerklärliche Nacht herein, enthüllte ein Firmament ohne Sterne. Aber die Elohim erhielten Licht von Infelizitas. Im dadurch entstandenen Zwielicht umgaben sie den Hügel wie ein lebendiger, farbenprächtiger Mantel. Und ihr Glitzern lohte Infelizitas' emporgestreckten Armen entgegen. Chromgrüne und karmesinrote Lichter, Smaragdgrün und mit Gefunkel durchsetztes, davon intensiviertes Weiß loderten zu Flammen auf und in die Höhe. Ein Regenbogen aus Flammen erhob sich über den Hügel. Und während sie sich verstärkten, begann ein Wind zu wehen.
Er zerrte an Lindens Hemd, fuhr ihr durchs Haar wie die eisigen Finger eines Gespenstes. Sie klammerte sich um Halt an Covenant, aber irgendwie verlor sie ihn. Sie war allein in dem zu Glut entfachten Glänzen und dem Wind, der sie bedrängte, bis sie taumelte. Die Finsternis vertiefte sich in dem Maße, wie die Lichter heller flammten. Linden konnte die Riesen nicht sehen, keinen der Elohim berühren. Alle materielle Substanz von Elemesnedene war zu Wind geworden, und der Wind kreiste um die Erhebung, als ob Infelizitas ihn heraufbeschworen hätte, er von ihr durch die schlichten Worte, mit denen sie das Elohim -Fest eröffnete, hervorgerufen worden wäre. Linden torkelte erneut, fiel; aber es wehte den Boden unter ihr fort. Über ihr stiegen Feuerzungen aus Elohim -Glut himmelwärts. Sie trudelten empor wie Funken einer Lohe im Herzen der Erde, vom Wind an den Himmel getragen. Die sternenlose Dunkelheit verwandelte sich in eine Art von Sturzbach der Pracht. Und Linden war, während sie hilflos im Wind dahinwankte, als müsse sie den Feuerzungen aufwärts folgen. Und indem sie so abzuheben schien, begann ihr mißlich glutloses Fleisch zu schweben. Unter ihr lag die Erhebung wie eine Grube aus Mitternacht am Grunde des feurigen Strudels, dessen Flammen nichts verzehrten. Sie ließ den Hügel unter sich zurück, trieb im hellen Emportrudeln der Funken nach oben. Wie gedämpfte Glöckchen tönten rings um Linden Flammen. Und noch immer wehte der Wirbelwind sie hinauf an den Himmel.
Dann plötzlich schien die Finsternis zu tatsächlicher Nacht zu werden, und der Wind trug sie einem Sternenhimmel entgegen. Im Licht der Feuerzungen sah sie sich und die Elohim wie eine
Weitere Kostenlose Bücher