Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
interessierten Gästen und äußerst günstigen Preisen war einmalig. Seltsamerweise verirrten sich nur wenige Touristen hierher, oder vielmehr Gott sei Dank. Zum Abschied gab es noch einen ganz besonderen Gag. Wer zahlen wollte, bekam einen Becher mit drei Würfeln vor sich hingestellt. Wenn er dann mit einem Wurf drei Sechsen warf, brauchte er überhaupt nichts zu bezahlen. Würfelte er drei Einsen, zahlte er die Hälfte seiner Zeche. Bei einem anderen Ergebnis wurde die volle Summe fällig. Dummerweise erzielte gerade ich eines dieser anderen Ergebnisse.
Der Mond blinzelte hinter einer Wolke hervor und spuckte etwas blässlich blaues Licht auf den Campingplatz. Blankgeputzte Sterne funkelten an den wolkenfreien Stellen des Himmels. Die lauwarme Luft wurde von einem sanften Windhauch aufgefrischt. Die Bayern saßen am Tisch in der Mitte des Platzes und schauten zu dem beleuchteten Schloss hinauf. Ich verzog mich in mein Zelt.
Zehnter Tag
Ich schlief mich aus. Erst gegen Mittag radelte ich in Richtung Gießen los. Dort kam ich auch gut an. Gießen sollte nur Zwischenstation sein. Eigentlich wollte ich weiter über Butzbach bis Hanau und dort in der Nähe einen Zeltplatz suchen, doch es kam wieder einmal ganz anders.
Diese Stadt klammerte sich an mich, wie manche Frauen das tun, die partout nicht einsehen wollen, dass man wirklich nichts von ihnen will. Sie wollte mich einfach nicht fortlassen und ihre Bewohner halfen ihr dabei. Sie wollte mich in sich hineinziehen. Gleich von Anfang an. Am Stadtrand hielt ich an einer Ampel. Neben mir kam ein junger Radler zum Stehen. Den Weg nach Butzbach wisse er schon, meinte er, ich müsse nur da vorne erst nach rechts, dann nach links, dann geradeaus durch die Fußgängerzone und dann nach der Frankfurter-Straße fragen. Fußgängerzonen unterwegs sind ein Gräuel. Sie wollen durchschoben werden, denn sie sind vollgestopft mit Menschen, die Durchreisenden konsumlüstern und schautrunken torkelnd den Weg versperren. Das bedeutet: Schieben, Stehenbleiben, Schieben, Stehenbleiben, Entschuldigungen murmeln, gemurmelte Entschuldigungen entgegennehmen, Schieben, Stehenbleiben, Schieben, Stehenbleiben und einen großen Zeitverlust. Dennoch wäre ich bereit gewesen, dieses Kreuz auf mich zu nehmen, wäre da nicht das Fahrradschild gewesen. Grüner Radler auf weißem Grund und darunter ein Pfeil. Das, so hatte mein heimischer Computer behauptet müsse der richtige Weg sein. Allerdings hatte da auch gestanden, dieser Weg wäre teils überhaupt nicht, teils völlig sinnwidrig beschildert. Warnungen sind dazu da, in den Wind geschlagen zu werden. Hier war eine Möglichkeit der Stadt Gießen und ihrer Fußgängerzone auszuweichen. Das wollte ich auf jeden Fall versuchen. Ich ließ die Stadt links liegen und kam ungestört gut voran. In Heuchelheim gab es eine Straße nach Wetzlar und ein Schild für Radfahrer mit einem Pfeil. Als braver Staatsbürger glaubt man an Kreisverwaltungen, Straßenbauämter und Beamte, die Schilder mit Pfeilen an Straßenecken aufstellen und man glaubt auch daran, als ein Staatsbürger mit Fahrrad ernst genommen zu werden. Das ist falsch. Ein Staatsbürger mit Fahrrad ist für einen Beamten der Herr über Schilder und deren Aufstellung ist, die beste Gelegenheit seine sadistischen Triebe auszuleben, ihn feixend in irgendwelche Richtungen auf miserable Fahrbahnen zu schicken und ihn dort im Nirgendwo orientierungslos und hilflos stehen zu lassen. Es gibt nur diese eine Erklärung, für das was radfahrenden Staatsbürgern vielerorts in Deutschland angetan wird.
Also, eigentlich gibt es noch eine zweite Erklärung. Aber daran will ich gar nicht glauben. Nein. Das kann nicht sein. Oder sind diese Beamten wirklich einfach nur dumm? Handelt es sich um Schildbürgerbeamtenstreiche? Nein. Nein, bestimmt nicht; das täuscht. Oder?
In meinem Glauben an die Gleichberechtigung von Staatsbürgern mit Fahrrad und solchen mit Kraftfahrzeugen rollte ich also auf dem von Amts wegen für mich bestimmten Weg hinaus aufs hügelige Land. Nachdem ich ein paar leichte Steigungen überwunden hatte, befand ich mich auf einer grünen Ebene mit weiten Feldern und zwei bewaldeten spitzen Bergkuppen am Horizont, auf denen ich burgähnliches Gemäuer ausmachen konnte. Die Landschaft war schattenlos. Bäume gab es nur in weiter Ferne. Die Sonne brannte mir auf den Rücken. Der Himmel erstrahlte in schönstem Blau. Das alles war auf eine abwegige
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