Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)

Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)

Titel: Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter W. Hohenester
Vom Netzwerk:
hinter mir gelassen und war unterwegs nach Butzbach. Ich hatte nur einen Gedanken: Nichts wie weg. Was soll man auch von einer Stadt halten, die auf ihrer Homepage unter dem Ikon »Stadtplan« nichts anzubieten hat als einen dicken roten Punkt. Auch Blondinenwitze sind nicht ohne Grund entstanden.
    Von Butzbach kam ich über Bad Nauheim nach Niddatal. Dort stellte sich mir ein großgewachsener Mann im blauen Monteuranzug entgegen. Sein Gesicht verklärte sich bei meinem Anblick. Ein liebevolles Lächeln verwandelte es in das Antlitz eines mittelalterlichen Mönchs, eines Missionars, der auf einsamen Wegen in heidnischen Landen wandelnd, plötzlich einem Glaubensbruder gegenübersteht. Hätte es mein Fahrradlenker nicht verhindert, hätte er mich im Übermaß seiner Freude in die Arme geschlossen. Auch er, so brach es aus ihm hervor, würde seinen Urlaub mit Rad fahren verbringen. Und wenn ich nach Bad Vilbel wolle, so ginge es dort rechts hinüber auf den Niddaweg: eine gut befahrbare Strecke und wunderschön. Ein Plattenweg, allerdings mit ein paar holprigen Stellen.
    Für einen Augenblick ruhte sein Blick besorgt auf meinem Gepäck.
    Aber diese Stellen seien nicht sehr häufig. Ob mir das etwas ausmachen würde? Schlimm wäre es nicht. Und seine Familie würde ihn im Urlaub begleiten. Gott sei Dank. Wohin ich wolle? Ah, zum Bodensee also. Ja, da wäre er auch schon gewesen. Er kam ins Schwärmen und schwelgte in Erinnerungen: Man könne ganz um den See herumfahren. Und dann der Donauweg von Passau nach Wien! Der wäre ganz besonders schön. Die Anreise zum Ausgangspunkt einer Tour müsse er immer mit dem Zug machen. Wegen der Zeit. Und erst das Altmühltal. Herrlich, herrlich. Manchmal schlechte Wegstrecken. Schotter. Das geht auf die Reifen. Aber die Landschaft - herrlich, herrlich. Am liebsten würde er ein Stück mit mir fahren. Aber er müsse jetzt zur Arbeit. Leider, leider. Es seien wirklich nur wenig Holperstellen auf dem Weg an der Nidda. Sonst, wie gesagt: wunderschön. Und gute Fahrt! Und gute Heimkunft! Er machte eine Bewegung wie der Papst an Ostern in Rom auf dem Petersplatz, wenn er die Menge segnet. Ein Blick auf die Uhr. Er müsse jetzt los. Die Pflicht ruft. Leider, leider. Und weg war er.
    Er hatte nicht gelogen. Ich genoss die Fahrt an der Nidda entlang. Auf der einen Seite Pappeln, Weiden, Birken, Sträucher, weiß blühender Bärenklau, hohe nesselblättrige Glockenblumen mit violetten Blüten zwischen gemeinen Brennnesseln und wild wucherndem Farn, dahinter grünes Schilf und der silbrig blinkende Fluss. Auf der anderen Seite neben mir endlose Wiesen mit hohem, wogendem Gras; ab und zu ein goldenes, erntereifes Getreidefeld, begrenzt von einer sich lang hinziehenden Erhebung in der Ferne. Ein klarer, tiefblauer Himmel, nur leicht gemustert von wenigen fiedrigen Wölkchen. Es war eine Lust zu radeln. Kaum einmal wurde ich von einer leichten Steigung gefordert. Es war fast schon ein Fliegen. Das Rad fahren wurde zu einer milden Droge, versetzte mich in leichte Euphorie, brachte mich dicht an die Erfüllung des uralten Traums des Menschen heran: Frei und ungebunden aus eigener Kraft zu fliegen wie ein Vogel. Nur mit zwei mal zwei Quadratzentimetern Gummi dem Boden und der Erde verhaftet schwebte ich, übermütig in Schlangenlinien dahinsausend bis nach Bad Vilbel.
    Von dort an verflog der Rausch allmählich und machte spätestens in der Fußgängerzone von Hanau einem kurzen, heftigen Katzenjammer Platz. Wie war ich nur hierher geraten? Diesmal hätte ich doch besser dem Radweg folgen sollen, auch wenn er genau entgegen der Fahrtrichtung nach Hanau verlaufen war. Aber ich musste schlau sein und den direkten Weg suchen. Und was hatte ich gefunden? - Die Fußgängerzone. Hier hatte ich bestimmt nichts verloren. Das heißt den Weg nach Kahl, den hatte ich schon verloren. Ihn wieder zu finden, würde mich viel Zeit kosten. Andererseits spielte Zeit ja keine Rolle. Davon hatte ich genug. Das sollte ich nicht vergessen. Ich wollte mich doch von angewöhnten oder anerzogenen Zwängen befreien. Deshalb war ich doch zum Nomaden auf Zeit geworden. Mein inneres Gleichgewicht war wieder hergestellt. Ich ergab mich in mein Schicksal, fand mich mit der Situation ab und schaute mich in der Fußgängerzone von Hanau um. Sie wirkte großstädtisch, war gut besucht, hatte Anschluss an einen Busbahnhof und endete ziemlich abrupt hinter einem Parkplatz in einer Gegend, deren stille, öde Straßen fast menschenleer

Weitere Kostenlose Bücher