Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
Weise reizvoll. Ich stieg vom Rad, um die Burgen zu fotografieren. Und weil ich schon eine Weile den Verdacht hegte, völlig falsch gefahren zu sein. Diesen Verdacht teilte auch ein Radfahrer, der zufällig vorbeikam und mir, mit besorgt hin und her pendelndem Kopf riet, nicht weiterzufahren, sondern zurückzukehren nach Gießen, um von dort aus Butzbach zu erreichen. Er meinte zwar über Rodheim, dabei zeigte er auf die Straße links von den Burgen, und die Berge käme ich auch dorthin, aber das wäre ein gewaltiger und beschwerlicher Umweg. Da hatte er vermutlich recht. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass ich mich genau in Gegenrichtung zu meinem eigentlichen Ziel bewegte. Das musste zwar nicht unbedingt von Bedeutung sein, denn Radfernwege wanden sich häufig in den seltsamsten Krümmungen und erzielten oft die vielfache Länge einer direkten Verbindung zwischen zwei Orten. Das war sicherlich aus irgendwelchen Gründen so beabsichtigt. Aber in diesem Fall war wohl eher mein Wunsch der Stadt Gießen auszuweichen der Vater der Wegfindung gewesen.
Zurück nach Gießen. Gießen erinnerte mich instinktiv an eine dieser ordinären, modischen Blondinen mit kurz geschnittenen Haaren, Piercings und aufreizenden Tattoos, die nichts anderes im Sinn hatten als einen Kerl, kaltblütig und berechnend zwecks Lustgewinn an sich zu ziehen und wenn möglich finanziell auszunutzen, wobei sie sich dann als ebenso langweilige wie ungeschickte Nestbauerinnen offenbarten. Ich verabscheue solche Frauen.
Marburg dagegen war wie ein romantisches Mädchen mit langen schwarzen Haaren, dunklen verträumten Rehaugen, voller Warmherzigkeit und dem verborgenen Temperament einer Wildkatze gewesen. Natürlich gab es in der Unterstadt auch moderne Ansichten und weniger Bewundernswertes. Aber irgendwo gleichen sich eben alle Städte und alle Frauen. Das darf man nicht überbewerten. Daran kann man sie nicht messen.
In Heuchelheim startete ich einen letzten Ausweichversuch.
»Nein«, sagte die elegant in Weiß gekleidete Dame. »Es gibt keine andere Möglichkeit. Sie müssen zurück ins Zentrum von Gießen. Dann durchs Elefantenklo. Dahinter nach rechts auf die Frankfurter-Straße und immer geradeaus.«
»Elefantenklo?«
Sie lachte. »Es ist ein Tunnel. Wir nennen ihn so, weil er so groß ist, weil er so aussieht und weil er den Verkehr kanalisiert.«
»Aha.«
Ihre Beschreibung traf zu. Auf der Frankfurter-Straße zeigte mir ein Blick auf den Tacho, dass ich schon dreißig Kilometer in die Irre gefahren war. Dann sah ich das Schild. Diese Stadt ließ nichts unversucht. Mein Routenplan wusste nichts von einem Campingplatz. Die Karte wusste nichts davon. Aber das Schild behauptete es gäbe ihn. Es war ein offizielles Schild und ich befand mich auf einer Bundesstraße. Einer Straße für Autofahrer. Also gab es keinen Grund an der Aussage des Schildes zu zweifeln. Anderthalb Kilometer weiter. Dann rechts. Es war früher Abend. Der nächste Campingplatz auf meiner Liste ca. 65 Kilometer entfernt. Gießen hatte gewonnen. Ich würde die Nacht hier verbringen.
Beim Campingplatz gab es ein Schwimmbad und Tätowierungen. Der Träger der Tätowierungen gab sich zunächst sehr reserviert. Er betrachtete mich mehrfach eingehend von oben bis unten, als warte er auf ein Losungswort. Angesichts seiner Skinheadfrisur, der geröteten blauroten Nase, den Cowboystiefeln an seinen Füßen und der Flasche in seiner Hand, fiel es mir nicht schwer dieses Losungswort zu erraten:
»Wo gibt`s hier ein Bier.«
Nachdem das Passwort ausgesprochen war, wurde er zur Freundlichkeit in Person. Das Bier gäbe es an einem kleinen Kiosk im Gebäude der Badeanstalt, die Sache mit den Personalien habe Zeit und den Platz für mein Zelt würde mir sein Partner gleich zeigen.
Hinter einem Holzhaus, das neben der Anmeldung auch einen Aufenthaltsraum mit Kneipencharakter beherbergte, lag der Zeltplatz, eine kleine gepflegte Wiese mit ein paar Bäumchen, die von der Wohnwagenkolonie daneben durch einen Zaun und einen schmalen Weg getrennt wurde. Auf dem Wohnwagengelände ging es lebhaft zu. Es schien sich mehr um eine Siedlung als um einen Übernachtungsplatz zu handeln. Dort lebten auch keine Holländer, sondern ein Völkchen, dass man früher, als die Farbigen noch Neger hießen, als Zigeuner bezeichnet hätte. Heute nannte man die Zigeuner Sinti oder Roma. Aber da ihnen die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Volksgruppe nicht auf die Stirn geschrieben stand, war ich nicht in
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