Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
Bewegungsfreiheit. Ich stellte mich an einen der Tische am Fenster. Der Regen klatschte gegen die Scheibe. Von der Straße war kaum etwas zu sehen. Ich bekam ein reich belegtes Stück Pizza und dazu Messer, Gabel und eine Stoffserviette. Der Besitzer war ein blasser Italiener, der ungefähr so viel Deutsch sprach, wie ich Italienisch. Trotzdem bekam ich heraus, dass er von einem anderen Ort hierher gezogen war, weil er sich von den 20 000 Studenten in Marburg einen gewaltigen Umsatz erhoffte. Leider war ich heute sein erster Kunde und würde wohl auch der einzige bleiben, wenn sich das Wetter nicht änderte. Er war sehr enttäuscht, als er erfahren musste, dass ich ein Tourist war und nicht zum Stammgast werden würde. Ich wünschte ihm zum Abschied Glück für seine Neugründung und er zog sich zu seiner Corriäre de la Roma und einem Espresso zurück.
Das Universitätsmuseum für bildende Kunst zeigte eine prächtige Fassade und eine bescheidene Sammlung berühmter Meister. Ein Picasso, ein Klee und ein Kandinsky hingen bei meinem Besuch ganz vorne an der Wand. Doch was sonst zu sehen war, gefiel mir gut. Es waren fast nur regionale Künstler vertreten. Ein gutes Vorbild dachte ich, der ich aus einer Stadt kam, wo Steuergelder verwendet wurden, um Werke von fremdländischen Künstlern einzukaufen und der privat betriebenen Kunsthalle zu spenden. Für einheimische Kunst blieb da nichts übrig.
In der Eingangshalle sah ich mich am Ende meines Rundganges den Bayern vom Campingplatz gegenüber.
»Machen wir heut` auf Kultur?«, gab ich mich leutselig.
»Jawoll!« Es klang wie aus einem Mund.
»Was soll man auch sonst machen? Bei diesem Wetter.«
»Genau!«
Wir waren uns einig.
»Servus«, riefen wir uns dann zu, um uns auf eine dem Anspruch einer Bildungsstätte angemessene Weise in altbayrischem Latein zu verabschieden und sie marschierten geschlossen zu den Bildern.
Das Wetter hatte sich beruhigt. Mein Zelt stand noch an seinem Platz. Ich legte eine Ruhepause ein, bevor ich Abendbrot aß und mich noch einmal auf die Socken machte, um in der Altstadt ein Weizen zu trinken. Auf dem Weg dorthin klingelte mein Handy. Heiko wollte wissen, wie es mir gehe und was ich gerade tun würde. Ich sagte es ihm. Und weil er nicht auflegen wollte, mimte ich den Rasenden Reporter auf Sightseeingtour und beschrieb ihm, was um mich herum geschah. Als er das Kreischen einer Frauenstimme mitbekam und erschrocken fragte, was geschehen sei, berichtete ich ihm, mehr ratend als wissend, da wäre soeben ein Mord geschehen. Ein Mann hätte gerade seine Frau aus dem Fenster in den Schlossgraben geworfen. Das wäre nun einmal die ortsübliche Methode Beziehungskrisen zu lösen.
»Nachahmenswert!« stellte er fest. »Aber wo bekomme ich in Bremen einen Schlossgraben her?«
Ich war nun am Marktplatz angekommen und stand vor dem Rathaus. In dem Moment, als ich Heiko erklären wollte, dass ich das auch nicht wüsste, wurde ich von einem grässlichen metallisch klingenden Rasseln, Scheppern und Krächzen unterbrochen.
»Was ist denn das schon wieder?«
»Da scheint ein Grünspan bedeckter Vogel auf dem Rathaus zu stehen, der die Zeit ansagt und mit den Flügeln schlägt.«
»Unheimlich«, stellte Heiko in Bremen fest. Und mit erwachter Neugier, nachdem Stille eingetreten war: »Fliegt er jetzt?«
»Nein«, beruhigte ich ihn. Dann hörte ich eine entfernte weibliche Stimme im Hintergrund aus dem Handy.
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Heiko »Beate meint das wird sonst zu teuer.«
Dafür hatte ich Verständnis und mein vom Handy halb zerquetschtes Ohr empfand Dankbarkeit.
Im Krug zum grünen Kranze trank ich ein Weizen und sah mir im Fernseher das Spiel Deutschland gegen Tschechien an. In der Halbzeit erreichte mich ein Anruf von Marlies Die Leute von Books on Demand hatten geschrieben, es würde noch mehrere Wochen dauern, bis das Referenzexemplar meines Buches fertig sein würde. So sehr ich mich sonst über solche Lahmärsche geärgert hätte, war es mir in meiner augenblicklichen Situation gerade recht. Denn das signalisierte ein Open End für meine Radtour. Ich bestellte noch ein Bier und sah mir den Rest des Spieles an. Es endete 1:1 unentschieden und war alles andere als erfreulich. Da konnte ich mich schon eher für die Kneipe begeistern. Nicht nur weil das Mädchen hinter der Theke sehr viel Ähnlichkeit mit der hübschen Nachbarin des Werkzeugverleihers hatte. Die Kombination aus Gemütlichkeit, sportlich
Weitere Kostenlose Bücher