Der Einsatz
noch keine sechs Monate alt. Er hatte dafür bei Paytakht, einem Laden in Teheran, der einem gegen eine saftige Provision fast alles beschaffen konnte, was man auch in Dubai bekam, über viertausend Dollar hingeblättert. Damals war ihm das wie eine Art Notausgang vorgekommen, durch den er dem goldenen Käfig seines «Spezialjobs» entkommen und in andere Welten fliehen konnte. Der Computer war unglaublich schnell, und über seine neue Satelliteninternetverbindung konnte der junge Wissenschaftler alle virtuellen Orte auf dieser Welt erreichen. Am Anfang war das unglaublich anregend gewesen, doch inzwischen hatte er Angst, ins Internet zu gehen. Der Geheimdienst und die Revolutionsgarden kannten seine I P-Adresse , so wie sie alles andere kannten, was offiziell mit ihm in Verbindung stand.Er musste jetzt außerhalb seines eigenen Körpers leben, sich die Schneckenhäuser anderer Geschöpfe überstreifen.
Der junge Mann trat ans Bücherregal und zog ein Fotoalbum seiner Eltern heraus. Beide, seine Mutter wie sein Vater, waren begeisterte Hobbyfotografen gewesen und hatten sich fast jedes Jahr eine neue Kodak-Kamera und eine Unmenge Filme gekauft – ebenfalls von Kodak, denn sein Vater hatte kein Vertrauen in die Japaner gehabt. Manche ihrer strenggläubigen Freunde waren der Meinung, dass es sich für Muslime nicht ziemte, von sich selbst Bildnisse zu fertigen, aber sein Vater hatte nur darüber gelacht. Solche Menschen waren für ihn
jahiliya
– Ignoranten, die glaubten, das Licht der Sonne aufhalten und den Tag in dunkle Nacht verwandeln zu können.
Der junge Wissenschaftler fing an, in dem Album zu blättern. Es zeigte Bilder von den Urlauben seiner Eltern, die sie in ihrem kleinen Strandhaus in Ramsar am Kaspischen Meer verbracht hatten. Auf den frühen Bildern sah seine Mutter im Badeanzug und mit ihren hochtoupierten Haaren noch aus wie ein Filmstar aus den sechziger Jahren, aber im Laufe der Zeit hatte sie erst einen Umhang über den Badeanzug geworfen und dann die Haare unter einem Kopftuch versteckt, und irgendwann war sie ganz verschwunden. Sie starb an Krebs, noch keine fünfzig Jahre alt. Der junge Mann war bei ihrem Tod erst elf gewesen, doch er konnte sich immer noch an ihren Geruch und ihre zärtlichen Berührungen erinnern. Ansonsten aber lebte seine Mutter für ihn hauptsächlich in diesen Alben weiter, in die sie neben den von ihr und seinem Vater geschossenen Fotos auch aus der Zeitung ausgeschnittene Bilder damals populärer iranischer Schauspielerund Schauspielerinnen geklebt hatte. In diesem Album sah man beispielsweise den schönen Mohammad Ali Fardin und die bezaubernde Azar Shiva, die in der Filmromanze
Sultan meines Herzens
die Hauptrollen gespielt hatten. Dem jungen Wissenschaftler kamen sie vor wie Gespenster aus einer längst verschwundenen Welt.
Er blätterte weiter, bis ihm ein Foto auffiel, das er noch nie genauer angeschaut hatte. Es zeigte Jacqueline Kennedy-Onassis bei ihrem Besuch in Shiraz Anfang der Siebziger, was seine Mutter unter dem Foto minutiös vermerkt hatte. Jackie wirkte in ihrer blütenweißen Hose und königsblauen Bluse schlank und elegant wie immer. Sie schritt, flankiert von zwei Leibwächtern in schwarzen Anzügen mit schmalen, ebenfalls schwarzen Krawatten, die breite Treppe irgendeines Denkmals herab. Die Kamera hatte sie in einem Moment eingefangen, als sie das schwarze Haar nach hinten warf und ihr schönes Gesicht nach links wandte, wo sie offenbar etwas Interessantes entdeckt hatte.
Zum ersten Mal sah sich der junge Wissenschaftler die Frau auf dem Foto genauer an. Ihr wundervolles Haar war offen, und ihre Hose saß so eng, dass man unter dem Stoff Hüften und Oberschenkel genau erkennen konnte. War dieses Land heute noch das gleiche wie damals, als Jackie Kennedy es mit ihrem Besuch beehrt hatte? Was wäre, wenn die damalige Königin der Welt heute hierherkäme? Würde man ihr dann einen Sack überstülpen, in dem sie aussah wie ein totes Tier? Natürlich würde man das. Frauen wie Jackie waren eine Beleidigung für die hier herrschende Auffassung vom Islam.
Das Bild war nicht aus einer Zeitung ausgeschnitten, alsomusste sein Vater es selbst aufgenommen haben. Aber was hatte er bei Jackie Kennedys Besuch in Shiraz zu suchen gehabt? Hatte er dort eine Vorlesung über Persische Literatur gehalten, oder war er einfach bloß als Tourist dort gewesen?
«Der Schah ist ein Zuhälter», hatte sein Vater dem jungen Wissenschaftler einmal gesagt, als der noch
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