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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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ein Kind war. Sein Vater hatte den Schah gehasst, und deshalb hatte das Pahlevi-Regime wiederum seinen Vater gehasst. Das musste der junge Mann sich jetzt wieder ins Gedächtnis rufen. Sein Vater war ein Intellektueller und ein Freigeist und in seiner Jugend vielleicht sogar Kommunist gewesen. Er hatte zwar nie darüber gesprochen, doch genau so musste es gewesen sein.
    Doch ganz gleich, woran sein Vater in Wahrheit geglaubt hatte, er hatte dafür leiden müssen. Zweimal war er verhaftet worden, das zweite Mal am Vorabend der Revolution, kurz nach der Geburt seines Sohnes. Das Schah-Regime hielt ihn anscheinend immer noch für gefährlich, diesen gebrochenen Professor, der nur in seiner Traumwelt aus Kodak-Bildern und Literatur lebte. So dumm war der Savak gewesen, dass er diesen harmlosen Mann als Bedrohung betrachtete.
    Als dann die Revolution kam, hatte sein Vater aufgeatmet: Das sah man seiner Miene auf den Fotos von der Anti-Schah-Demonstration am Shahyar-Denkmal deutlich an. Diese Großdemonstration war der Anfang vom Ende des Schah-Regimes gewesen, und am Funkeln in den Augen seines Vaters erkannte der junge Wissenschaftler, wie groß sein Verlangen nach Rache gewesen sein musste. Er hatte seinen Vater nie gefragt, was die Schergen des Schahs ihm im Gefängnis angetan hatten, aber er konnte es sich lebhaft vorstellen.Nach der Revolution hatten ihn die einfachen
basiji
wie den Sohn eines Helden oder Märtyrers behandelt. Sein Vater aber hatte damals längst die Wahrheit erkannt und verachtete die Revolution, auch wenn er das nie laut aussprach.
    «Das sind Lügner», hatte sein Vater gesagt. «Sie haben eine Müllhalde geschaffen und nennen sie einen grünen Park.» Er hatte seinem Sohn geraten, das Land zu verlassen, in Deutschland zu studieren und nie wieder nach Hause zurückzukehren. Aber sein Sohn hatte nicht auf ihn gehört. Er genoss die Macht, die sein Wissen ihm verschaffte. Er genoss es, Geheimnisse zu kennen. Er hielt sich für schlauer als seinen Vater und glaubte, sich einen Zufluchtsort schaffen zu können, an dem die
jahiliya
, die Ignoranten, ihm nichts anhaben konnten. Erst nach einigen Jahren in den weißen Büroräumen von Jamaran war ihm bewusstgeworden, dass das nicht möglich war.
     
    Der junge Wissenschaftler klappte das Fotoalbum zu. Obwohl er keinen Hunger hatte, glaubte er, etwas essen zu müssen. In der Küche stand noch ein wenig Reis mit Huhn, den ihm die Haushaltshilfe gekocht hatte. So war das, wenn man in den Gehäusen anderer Wesen lebte. Er machte sich gerade den Reis in seiner neuen Mikrowelle warm, als das Telefon klingelte. Seit längerer Zeit hatte er sich abgewöhnt, ans Telefon zu gehen, weil man nie wissen konnte, wer da anrief. Aber als sich sein Anrufbeantworter einschaltete und er die Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, hob er doch den Hörer ab.
     
    Es war sein Vetter Hussein. Hussein hatte viele Jahre bei den Revolutionsgarden gedient und alles getan, was man von ihm verlangte, und dann hatte man ihn von einem Tag auf den anderen einfach davongejagt. Seitdem war Hussein verbittert und sagte, die Garden hätten ihn praktisch kastriert. Jetzt erzählte er, dass seine Frau auf Besuch bei ihrer Schwester sei, und schlug dem jungen Wissenschaftler vor, mit ihm auszugehen und mal wieder ordentlich auf den Putz zu hauen. Er wollte in einem Lokal zu Abend essen, etwas trinken und dann vielleicht ein paar Frauen aufreißen. Er sprach ein wenig undeutlich, so als hätte er bereits mit dem Trinken angefangen oder Opium geraucht oder irgendwelche Tabletten genommen – was ein Mann eben so tat, dem man die Eier abgeschnitten hatte. Der junge Wissenschaftler sagte, er sei müde, er habe einen langen Tag in der
daneshgah
hinter sich.
Daneshgah
, Universität, war eine beschönigende Umschreibung für seinen Arbeitsplatz. Aber Hussein ließ seine Entschuldigung nicht gelten. Er drängte den jungen Wissenschaftler weiter, ihn zu begleiten, flehte ihn schließlich sogar an. Und der junge Mann gab nach. Er wollte nicht riskieren, dass Hussein am Telefon etwas Dummes sagte, denn man konnte ja nie wissen, ob und von wem man gerade abgehört wurde.
     
    Fünfzehn Minuten später holte Hussein den jungen Wissenschaftler mit seinem Auto ab. Er hatte scharfen, selbstgebrannten Schnaps dabei, den er ein wenig mit Orangensaft verdünnt hatte. Erst lehnte der junge Mann ab, dann nahm er aber doch einen Schluck. Heute Abend wollte er sich ebenso sehr ins Vergessen flüchten wie

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