Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
Vom Netzwerk:
der junge Mann, aber Hussein hörte ihm gar nicht zu. Er beugte sich zu ihm herüber und flüsterte ihm mit heiserer Stimme ins Ohr. «Glaubst du, ich könnte einen Job in Amerika kriegen? Oder in Deutschland? Egal, wo.» Sein Atem stank nach Alkohol.
    «Klar. Wenn du es schaffst, dorthin zu kommen.»
    «Aber genau das meine ich doch. Kannst du mir dabei helfen? Ich habe keinen Mumm mehr in den Knochen, dasweißt du. Und bis auf dich habe ich niemanden, der mir helfen kann.»
    Das war es, wovor der junge Wissenschaftler am meisten Angst hatte: dass sein Cousin in seiner Verzweiflung von ihm verlangen könnte, ihm zur Flucht zu verhelfen. Das war wirklich gefährlich, sich von einem abgehalfterten Ex-Pasdaran, der jede Menge Feinde hatte, mit ins Verderben ziehen zu lassen.
    «Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann, mein Lieber.»
    «Natürlich kannst du das. Du hast doch Beziehungen. Du hast Macht. Du hast alles. Wir wissen alle, dass du zum Netzwerk gehörst.»
    «Sei still!», zischte der Wissenschaftler in scharfem Ton. «Das reicht jetzt. Lass uns gehen.»
    Hussein fuchtelte seinem Vetter mit dem Finger vor dem Gesicht herum.
«Khak tu saret.»
Schmutz auf dein Haupt. Es war schon fast ein Fluch.
    «Still!», wiederholte der junge Mann.
    «Du bist undankbar. Du gehörst zu ihnen, zu den Privilegierten. Da kannst du deinen Vetter doch nicht wie ein Stück Dreck behandeln, wenn er mal deine Hilfe braucht. Wie kannst du nur so was sagen? Du bist es dem Andenken deines Vaters, meines lieben Onkels, einfach schuldig, dass du mir hilfst. Sonst weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Ich weiß es wirklich nicht mehr. Es ist so schwer, das Gesicht zu wahren   …»
    Hussein brach in Tränen aus, und der junge Mann nahm ihn in den Arm. Fast alle im Lokal sahen jetzt zu ihnen herüber, aber das war ihm egal.
    «Ich werde tun, was ich kann, Hussein. Ich werde versuchen,dir zu helfen. Aber du musst jetzt vorsichtig sein. Wir leben alle auf Messers Schneide, das weißt du genau. Wer ausrutscht, verletzt sich.»
    Der junge Mann bezahlte und brachte Hussein nach draußen. Weil sein Vetter nicht mehr in der Lage war zu fahren, setzte er sich selbst ans Steuer des Wagens und fuhr zu Husseins Wohnung in der Nähe der Mirdamad-Straße. Hussein war inzwischen auf dem Beifahrersitz eingeschlafen, und so schloss auch der junge Wissenschaftler die Augen und schlief ein paar Stunden. Im Morgengrauen stieg er aus und suchte sich ein Taxi, das ihn nach Hause nach Jusef Abad bringen sollte.
     
    Er hatte einen Brummschädel vom Alkohol, und seine Augen brannten. Um wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen, dachte er an seine Arbeit. Die Tests der Ausrüstung, die für diese Woche auf dem Programm standen, würden vermutlich ebenso scheitern wie die, die er letzte Woche gemacht hatte. Er konnte die hochempfindlichen Instrumente nur in einem speziellen Labor ausprobieren, wo er möglicherweise auch übernachten musste.
    Die Idioten von den Pasdaran, die das Programm leiteten, schrieben ihm vor, wie er die Messungen durchzuführen hatte, und er würde genau das tun, was sie von ihm verlangten. Sie hatten die Macht, aber nicht das nötige Wissen. Sie sagten ihm nicht, wozu sie seine Messungen benötigten, aber das wusste er auch so. Sie alle wussten es. Jedes Mal, wenn ein Experiment fehlschlug, freute sich der junge Mann, auch wenn er so tat, als würde es ihn ebenso enttäuschen wie alleanderen auch. Er wollte nicht, dass das Programm Erfolg hatte. Die Erkenntnis, dass er sein Wissen und seine Kraft in ein Projekt steckte, von dem er insgeheim hoffte, dass es scheitern würde, hatte ihm die Augen geöffnet. Sie war zur Keimzelle seines Verrats geworden.
    Jetzt musste er sich konzentrieren und möglichst rasch ein Taxi finden. Sein Hirn schien gegen die Innenwand seines Schädels zu drücken. Er musste nach Hause und unter die Dusche, und dann würde er früher als sonst zur Arbeit gehen. Er würde ihnen zeigen, wie wichtig er seine Aufgabe nahm. Das gehörte zu seiner Tarnung. Er war Wissenschaftler, ein sorgfältig arbeitender Wissenschaftler, der alles tat, damit seine Experimente gelangen. Dass er tief in seinem Inneren auf einen weiteren Fehlschlag hoffte, ging niemanden etwas an.
     
    Die Polizisten in ihren flaschengrünen Uniformen waren schon sehr früh unterwegs, und wenn sie um diese Stunde einen jungen Mann auf der Straße sahen, nahmen sie automatisch an, dass er getrunken oder herumgehurt hatte, wenn er nicht sogar

Weitere Kostenlose Bücher