Der Einsatz
Hussein. Sein Cousin hatteimmer noch das harte, vernarbte Gesicht eines Revolutionsgardisten, aber seine Augen waren weich geworden, als würde er von innen heraus verfaulen. Jetzt, wo ihm nichts mehr zu tun blieb, als zu trinken und sich selbst zu bemitleiden, würde er über kurz oder lang einen Fehler begehen. Hussein wusste nicht, wie man eine Lüge lebt, das war sein großes Problem. Er hatte wirklich an die Revolution geglaubt, und jetzt, nachdem die Revolution ihn ausgespuckt hatte, wusste er nichts mehr mit seinem Leben anzufangen.
In Husseins grünem Peugeot fuhren sie eine Weile die Valiasr-Straße auf und ab und sahen sich aus dem langsam dahinfließenden Verkehr heraus die Mädchen auf dem Gehsteig an. Die jungen Teheranerinnen wussten genau, wie man trotz langem Mantel und Kopftuch sexy wirken konnte. Sie trugen Schuhe mit hohen Absätzen, die ihre schlanken Beine noch länger machten und ihre Hüften beim Gehen aufreizend schwingen ließen. Sie wussten, wie sich Models bewegten, weil sie sich über Satellit verbotene Modesender ansahen. Auch bei pubertierenden Jungs war das äußerst beliebt. Sie holten sich beim Anblick der Unterwäsche- und Bikinimodels gerne einen runter.
«Ich brauche eine Frau», verkündete Hussein betrunken. Sie hatten die erste Flasche bereits geleert und machten sich an die zweite.
«Willst du dir etwa auch noch eine Krankheit holen?», fragte der junge Wissenschaftler. «Bei diesen Mädchen kannst du dir da fast sicher sein.»
«Du bist viel zu vorsichtig», gab Hussein zurück. «Was ist eigentlich los mit dir? Warst du etwa in Qazvin?» Die Erwähnung der Stadt nordwestlich von Teheran war eine Beleidigung,weil ein alter Witz im Iran besagte, die Männer dort seien alle homosexuell.
«Du kannst mich mal, mein lieber Vetter», erwiderte der junge Mann. «Lass uns einfach machen, was du willst.»
Hussein fuhr zu einem kleinen Kaffeehaus namens
Le Gentil
in der Gandhi-Straße, in relativer Nähe der Valiasr-Straße. Er sagte, dort gäbe es immer schöne Mädchen, und zwar Ausländerinnen, was bedeutete, dass man alles Mögliche mit ihnen anstellen konnte. Aber als sie dort ankamen, waren fast alle Tische mit Pärchen besetzt, und die wenigen Frauen, die allein da waren, zeigten ihnen die kalte Schulter. Hussein sah einfach noch zu sehr nach Revolutionsgardist aus, das war sein Problem. Obwohl er jetzt ein Rebell sein wollte, wirkte er äußerlich noch wie ein Soldat Allahs. Er ging zurück zum Wagen, um etwas Opium zu rauchen. Als er wiederkam, redete er wie ein Wasserfall.
«Diese verklemmten Heuchler haben mich verarscht», sagte er mit lauter Stimme. «Das weißt du genau.»
«Psst!», zischte der junge Wissenschaftler. «Natürlich weiß ich das, aber sag es nicht zu laut. Man kann nie wissen, wer einem gerade zuhört, sogar an einem Ort, der so
gherti
ist wie dieser hier.»
«Die haben mich verarscht!», wiederholte Hussein. «Und dabei habe ich alles gemacht, was sie von mir verlangten. Mehr sogar. Keiner hat die Worte des Imam besser verstanden als ich. Keiner hat das Blut der Märtyrer mehr in sich gespürt als ich. Und trotzdem haben sie mich verarscht.»
«Hayf»
, sagte der junge Mann. Eine Schande. «Das war falsch von ihnen. Jeder weiß das. Aber du musst darüber hinwegkommen. Schau nach vorne, Hussein.»
«Ach was! Weißt du eigentlich, wieso ich meine Stellung verloren habe? Weil ich sie beim Stehlen ertappt habe. Das war der Grund. Sonst wäre ich immer noch Oberst und würde ihnen Befehle erteilen. Das sind Hunde!
Pedar-sag
. Hundesöhne. Nein, sie sind Hundescheiße, die einem an der Schuhsohle klebt.»
«Kesafat»
, zischte eine Frau am Nebentisch. Abschaum. Dieser laute, verkommen wirkende Pasdaran, der in diesem angeblich so eleganten Café wie ein Prolet herumkrakeelte, widerte sie an.
«Psst!», machte der junge Mann ein weiteres Mal. Sein Vetter machte ihn nervös. Selbst in solchen Cafés hatte die Polizei ihre Spitzel.
«Ja, ich habe sie beim Stehlen erwischt. Unsere Kompanie hat Aufträge im Ausland erledigt. Ich muss dir nicht sagen, was für welche, das weißt du auch so. Streng geheime Aufträge. Meine Untergebenen haben geglaubt, sie könnten Geld beiseiteschaffen, ohne dass ihnen jemand auf die Schliche kommt. Aber ich habe es mitgekriegt, und ich habe versucht, sie daran zu hindern. Und jetzt …»
Hussein verstummte, weil ihm das Elend seiner Lage wieder voll bewusstwurde.
«Und jetzt solltest du nach Hause gehen», sagte
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