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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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fertig und nahm noch einen Schluck von dem Gevrey-Chambertin, den er Harry und Adrian zu ihren Lammkoteletts bestellt hatte. Der Speiseraum begann sich allmählich zu leeren, aber SirDavid schien nicht in Eile zu sein. Er blickte hinaus auf den Park und dann zurück zu Harry, und in seinen Augen lag jenes schelmische Funkeln, das ihn schon auf der Schule als Führungspersönlichkeit ausgezeichnet hatte. Auf seine eigene exzentrische Art und Weise brachte er die Sache auf den Punkt.
    «Zeit», sagte er. «Das ist das eigentliche Problem, nicht wahr?»
    «Ich kann Ihnen nicht folgen», sagte Harry.
    «In Cambridge hatte ich einen Wirtschaftsprofessor, der Italiener war. Piero Soundso. Er war damals schon ein alter Mann, der sein Leben nur einer einzigen Sache gewidmet hatte – viele meinten auch, er hätte es verschwendet. Egal, jedenfalls wollte er eines beweisen: dass David Ricardos Arbeitswerttheorie korrekt war. Was für ein Aberwitz! Ricardo war seit fast zweihundert Jahren tot, und seine Theorien wurden von jedem abgelehnt, der noch über gesunden Menschenverstand verfügte. Aber dieser Beweis war nun mal das Lebenswerk des Professors, das er in einer kleinen Monographie mit dem Titel
Warenproduktion mittels Waren
zusammenfasste. Das müssen Sie sich mal vorstellen. Er hat ein Denkmodell entworfen, in dem Arbeit das Kapital war – er nannte es ‹zeitgewichtete Arbeit›. Und das war der Punkt. Es war die
Zeit
, die den Produkten menschlicher Arbeit ihren Wert gab. Wenn man nur ein paar Weintrauben hat – und seien es die eines Pomerol   –, sind sie praktisch wertlos. Aber presst man sie, lässt den Saft gären, füllt ihn in Flaschen und lagert ihn ein paar Jahre lang   … dann ist das eine Investition. Verstehen Sie, was ich meine? Zeit ist Kapital.»
    Harry fragte sich, ob der SI S-Chef vielleicht ein bisschenzu viel getrunken hatte, als Plumb ihn plötzlich am Handgelenk packte.
    «Machen Sie nicht den Fehler zu glauben, dass Sie unter Zeitdruck stehen. Die Zeit läuft Ihnen nicht davon. Die Iraner sind noch weit davon entfernt, ihre Bombe hochgehen zu lassen. Sie haben ihren Schwerwasserreaktor noch nicht gebaut. Sie haben kein Plutonium. Sie haben keinen funktionierenden Zündmechanismus. O ja, ich weiß genau darüber Bescheid, was Ihnen neuerdings Angst macht, aber diese Angst, mein Junge, ist völlig fehl am Platz. Wir haben mehr Zeit, als unsere schreckhaften Freunde im Weißen Haus glauben. Vielleicht sogar mehr, als
Sie
glauben. Der Schlüssel zur Weisheit liegt darin, überstürztes Handeln zu vermeiden. Die Zeit läuft Ihnen nicht davon. Das versichere ich Ihnen.»
    Harry war ebenso erstaunt über Plumbs Heftigkeit wie über den Inhalt seiner Worte.
    «Sie erzählen das der falschen Person, Sir David. Ich bin nur ein Geheimdienstbeamter, der eine Abteilung bei der CIA leitet, und kein Politiker. Ich habe nicht einmal großen Einfluss auf die Leute, die bei uns die Politik machen. Wenn Sie verhindern wollen, dass Amerika in einen Krieg gegen den Iran zieht, dann sprechen Sie mit dem falschen Mann.»
    Plumb nahm die Serviette von seinem Schoß, faltete sie sorgfältig zusammen und legte sie auf den Tisch. Dann schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. Adrian Winkler tat es ihm nach.
    «Da bin ich mir nicht sicher, Harry», sagte Plumb. «Eigentlich glaube ich, dass Sie genau der richtige Mann sind. Sie wissen es bloß noch nicht.»

11   Damaskus/Teheran
    Al-Majnoun reiste über das Wochenende nach Syrien. Niemand wagte, ihn nach dem Grund zu fragen, und er hätte ohnehin keine Antwort gegeben. In Wahrheit tat er es, weil er sich langweilte. Also forderte er einen Privatjet beim Büro des Präsidenten an und ließ sich von Mehrabad nach Al-Mazzah fliegen, einem Militärflughafen außerhalb von Damaskus. Spurlos wie ein vorüberziehender Schatten verließ er den Flughafen, ohne auch nur einen Pass vorzuzeigen.
    Eine schwarze Limousine brachte ihn zum neuen Four Seasons Hotel, wo er eine Suite auf den Namen Nawaz gebucht hatte. Dem Hotel wurde mitgeteilt, er sei ein pakistanischer Geschäftsmann, der im Iran heikle Geschäfte zu erledigen hatte. Der Leibwächter, der ihn begleitete, wechselte ein paar leise Worte mit dem Portier, der daraufhin auf das Ausfüllen eines Anmeldeformulars verzichtete und den Wahnsinnigen unverzüglich in seine Suite im obersten Stockwerk, der Präsidentenetage, bringen ließ.
    Nun saß Al-Majnoun auf seinem Balkon und rauchte eine Wasserpfeife, in deren Tabak er

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