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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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ein Stück Opium getan hatte. Er blickte hinab auf die historische Begräbnisstätte, die gerade im Zuge des hektischen Wiederaufbaus der Stadt restauriert wurde. Kräne schwebten über den jahrhundertealten Gräbern und Mausoleen, Gerüste wuchsen neben der heiligen Stätte in die Höhe. Al-Majnoun nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und meinte die Geister der Toten sehen zu können, die, aufgeschreckt aus ihrer ewigen Ruhe, über den Gräbern umherschwebten. Unruhig schwirrten die
jinns
über dem Friedhof auf und ab. Konnte er sie heulen hören? Nein, so high war er noch nicht, doch er würde so lange neuesOpium in die Pfeife stecken, bis er hörte, was sie zu sagen hatten.
    Er genoss es sehr, in dieser arabischen Stadt zu sein. Das war seine Welt. Al-Majnoun war kein Perser. Er hatte die Rituale und Gebräuche dieses Landes zwar angenommen, doch sie waren nicht seine eigenen. Sogar ihre Religion war ihm peinlich. Die iranische Schia war viel zu laut und viel zu dramatisch – bei der bloßen Erwähnung von Hussein brachen die Pilger in sentimentales Weinen aus, und am Aschura-Tag rasselten sie theatralisch mit ihren Ketten. Das alles hatte eher etwas von den Wrestling Matches, die er sich via Satellit im Fernsehen ansah, als von echter Religionsausübung. Wo blieb die Enthaltsamkeit, wo die Reinheit der Wüste? Diese Perser waren allesamt Stadtmenschen mit behandschuhten Händen. Wie konnten sie damit Gott berühren? Ihre Kultur war so eingefahren, als wären sie alle mit denselben Gutenachtgeschichten aufgewachsen, die sie irgendwann auswendig zu Ende erzählen konnten. Für Al-Majnoun, den Wahnsinnigen, wurde hingegen alles jeden Tag neu erfunden.
     
    «Herr Nawaz» hatte diverse Besprechungen in Damaskus. Wichtige Leute kamen zu ihm und brachten ihm Briefe von anderen wichtigen Leuten. Er selbst schickte Boten, und manchmal tätigte er auch seinerseits Besuche. Dann fuhr er, begleitet von schwerbewaffneten Leibwächtern, in einer Limousine mit dunkel getönten Scheiben, die sich nicht einmal für den syrischen Mukhabarat öffneten. Wenn er unterwegs war, musste er sehr vorsichtig sein. Hätten die Israelis erfahren, dass er noch am Leben war, würden sie alles daransetzen,ihn zu töten, und die Amerikaner ebenso. Auch bei einigen einflussreichen Männern des syrischen Geheimdienstes stand er auf der Abschussliste, genau wie bei der Fatah, bei den Saudis und in Dubai. Er hatte ihre Leute getötet – das wurde zumindest behauptet   –, und deshalb trachteten sie ihm nun nach dem Leben. Sein Schutz bestand darin, dass er eigentlich gar nicht existierte. Nach offizieller Version hatten ihn die Israelis vor fünfundzwanzig Jahren getötet, und die Israelis irrten sich nie. Natürlich hielten sich hartnäckige Gerüchte, dass er doch noch am Leben sei, aber Gerüchte gab es in dieser konspirativen Welt zuhauf. Und so lebte Al-Majnoun Jahr für Jahr weiter, und je länger er lebte, desto mehr wuchs unter den wenigen, die die Wahrheit kannten, der Mythos seiner Unverwundbarkeit.
    Wahre Macht leitet sich nicht aus dem ab, was man wirklich getan hat, sondern aus dem, was die Menschen glauben, das man getan hat. Das war auch der Kern von Al-Majnouns Autorität. Die Leute, die mit ihm in Teheran arbeiteten, hielten ihn tatsächlich für wahnsinnig. Sie fürchteten, tot umzufallen, wenn er sie nur einmal scharf ansah. Wenn er in einem der Sicherheitsministerien einen Raum betrat, wichen die Leute vor ihm zurück, und wenn er seine Sonnenbrille abnahm, traute sich niemand, ihm in die Augen zu schauen.
    Weil sie ihn fürchteten, machten sie, was er wollte oder was sie dachten, dass er wollen könnte. Sie nannten ihn «General» oder «Emir» und versuchten, ihm zu gefallen – alles aus schierer Angst. Ein paar iranische Nachrichtenoffiziere, die den Film
Pulp Fiction
gesehen hatten, nannten ihn «Mr.   Wolfe», weil er sie in gewisser Weise an diese geheimnisvolle,von Harvey Keitel gespielte Figur erinnerte, die anderer Leute Dreck wegräumte.
    Außerhalb des engsten Zirkels um den Obersten Führer wussten die Leute nur wenig über Al-Majnoun, außer dass es sehr klug war zu tun, was er wollte. Und innerhalb des Zirkels, der eher einer Blackbox glich, wusste man ohnehin nicht, was irgendjemand gerade tat oder dachte. Und so war es allein sein Ruf, der Al-Majnoun kraftvoll vorwärtstrieb.
     
    Er verbrachte nur ein Wochenende in Damaskus. Danach hatte er genug arabisches Leben eingesaugt und seine Opiumvorräte

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