Der Einsatz
Wagen nach Hause, weil Andrea mit ihrem eigenen Auto gekommen war. Er versuchte, ihr von London zu erzählen, über die Aufführung zu reden und darüber, dass es schon fast wieder September war und bald ein neues Schuljahr beginnen würde. Sie antwortete knapp und lehnte sich an die Beifahrertür, als wollte sie möglichst viel Abstand zwischen sich und ihn bringen.
«Warum putzt du nicht den Türgriff, wenn du schon da drüben bist?», bemerkte Harry.
Lulu lachte nicht. Er hörte, wie sie leise ausatmete. Ein entnervtes, kraftloses Seufzen.
«Warum bist du eigentlich so böse mit mir?», fragte Harry schließlich, als sie sich dem Haus in Reston näherten.
«Bin ich gar nicht! Ich habe nur keine Lust, mit dir zu reden.»
Harry verspürte ein Frösteln, als ob ein eisiger Wind durch seinen Körper wehte. So fühlte sich Hoffnungslosigkeit an. Er war den Tränen nahe.
«Es ist nicht meine Schuld, Schatz.»
«Wovon redest du überhaupt, Daddy?» Sie sagte es wütend, aber ihre Stimme bebte vor Schmerz. Sie wusste ganz genau, wovon er sprach.
«Von Alex.»
«Nein!» Es brach wie ein Heulen aus ihr heraus, das selbst die Schutzwand ihres Schmerzes durchstieß.
«Es ist nicht meine Schuld. Ich wollte nicht, dass er in den Irak geht. Wenn du nur wüsstest …»
Lulu fing an zu weinen. Es war kein leises Schniefen, sondern ein lautes, krampfhaftes Schluchzen, das klang, als hätte sie gerade die Leiche ihres Bruders entdeckt. Als sie vor dem Haus hielten, sprang sie aus dem Wagen und rannte zur Tür. Harry blieb sitzen. Er konnte sich einfach nicht bewegen. Nach ein paar Minuten kam Andrea nach draußen und holte ihn herein.
Am nächsten Morgen hatte Harry eine Besprechung mit dem Direktor. Sein Vorgesetzter trug wieder Uniform und sah aus wie ein Verbindungsoffizier von der Marine, der der CIA einen Besuch abstattet. Harry erzählte ihm von dem Treffen in London. Er berichtete, dass der SIS in Teheran einen iranischen Agenten habe, der möglicherweise in der Lage sei, ihren geheimnisvollen Doktor Ali ausfindig zu machen. Der Direktor hörte sich den von Harry und Adrian Winkler entworfenen Plan an, schien jedoch nicht ganz bei der Sache zu sein. Anscheinend war das, was Harry sagte, schon nicht mehr von Bedeutung. Es war von den Ereignissen überholt worden.
«Das Weiße Haus steht völlig kopf», erklärte der Direktor,als Harry am Ende war. «Gestern gab es eine Krisensitzung, und jetzt betrachten sie die Sache nicht mehr als Angelausflug, sondern eher als eine Truthahnjagd.»
«Und was bedeutet das?»
«Das bedeutet, dass sich Ihr Doktor Ali mächtig ins Zeug legen muss. Finden Sie so schnell wie möglich so viel wie möglich über ihn heraus. Die Falken wollen ausfliegen, sie wetzen schon die Schnäbel. Ihr Spiel mit dem SIS klingt zwar recht nett, wird aber viel zu lange dauern.»
«Tut mir leid, aber bis auf den Kontaktmann vom SIS habe ich nichts in der Hand. Oder haben Sie eine bessere Idee?»
«Ich nicht, aber Arthur.»
Harry schüttelte den Kopf. So war es, wenn das Karussell sich zu drehen begann. Alles raste an einem vorbei, und jedem wurde schwindlig. Am liebsten hätte er die Sache hingeschmissen und dem Direktor gesagt, er solle sich einen anderen suchen, aber das wäre ebenso unprofessionell wie dumm gewesen. Also sagte er stattdessen: «Ich werde mit Arthur reden.»
Am Mittag war Harry mit dem Chef des DGSE, des französischen Auslandsgeheimdienstes, zum Lunch verabredet. Er hielt sich gerade in Washington auf und hatte natürlich ein französisches Restaurant vorgeschlagen, ein kleines Lokal namens
Chez Girard
ganz in der Nähe des Weißen Hauses. Der Franzose war ein gepflegter, redegewandter Mann, der seinen Geheimdienst von blinden Draufgängern und zwielichtigen Gestalten befreit und ihm damit wieder einen besseren Ruf eingebracht hatte. Er verehrte René Descartes undsprach über große, strategische Ideen auf eine Art und Weise, die Harry, der über die paramilitärische Laufbahn zum Geheimdienst gekommen war, rückhaltlose Bewunderung abrang.
Harry hatte ihn während eines Kurzeinsatzes in Beirut kennengelernt, nachdem der Chef des dortigen CI A-Stützpunkts entführt und ermordet worden war. Der Franzose war in Beirut Stationschef des DGSE gewesen, was in einem Land, in dem sich französisches mit libanesischem Schwarzgeld mischte, keine ganz leichte Aufgabe war. Harry hatte ihn von Anfang an gemocht, und in den darauffolgenden Jahren waren die beiden Freunde
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