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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Yazdani-Straße durch die Stadt lotsen. Zur Sicherheit ließ er sich an einer Kreuzung absetzen, die ein gutes Stück von seiner Wohnung entfernt war. Auf dem Heimweg verspürte er immer noch dieselbe Euphorie wie nach der Lektüre der Mail, rief sich aber ins Gedächtnis, dass er jetzt ganz besonders vorsichtig sein musste. Jetzt wurde es schließlich erst richtig gefährlich. Immer wieder sagte er sich ein altes persisches Sprichwort vor:
nafasat az jayeb garm darmiyad
. Warm ist dein Atem bereits. Oder, anders ausgedrückt: bloß kein übertriebener Optimismus. Schon bald würde er wieder die Kälte in den Knochen spüren. Er würde warten müssen. Aber sie würden kommen. Karim schloss seine Wohnungstür auf und blieb dann eine Zeitlang auf dem Sofa sitzen, ohne Licht zu machen.

24   Washington
    Denjenigen, die über den drohenden Konflikt mit Teheran informiert waren, kam Washington in diesen Tagen fast genauso vor wie im März 2003, bevor die USA in den Irak einmarschiert waren. Keiner wollte als Letzter Bescheid wissen, und so war plötzlich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Regierungszirkels alle Welt felsenfest überzeugt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die Islamische Republik Iran angreifen würden. Man verständigte sich mit Augenzwinkern und Zunicken, über Andeutungen und Botschaften zwischen den Zeilen. Bei den Dienstbesprechungen im Weißen Haus, im Pentagon und im Außenministerium ging es plötzlich nur noch um einen möglichen amerikanischen Militärschlag gegen Nuklearanlagen im Iran. Die Pressesprecher verweigerten zwar jeglichen Kommentar, doch auch das gehörte dazu. Die Presse setzte alles daran, die Regierungsbeamten zur Offenlegung ihrer geheimen Pläne zu bewegen, und jedes Mal, wenn sie sich eine weitere Abfuhr eingefangen hatten, ergingen sich die Journalisten in Andeutungen, dass die Regierung der Bevölkerung etwas verheimliche. Etliche Expertenkommissionen erstellten mit Hilfe ehemals hochrangiger Militärangehöriger, die bissig waren wie die Terrier, Blitzstudien darüber, auf welche Ziele im Iran die USA sich im Falle eines Angriffs konzentrieren würden.
    Die Frage lautete nicht mehr, ob die USA den Iran angreifen würden, sondern nur noch wann. Die großen Nachrichtenagenturen wandten sich an das Pentagon, um Strategien zur Berichterstattung zu besprechen, und ein paar Zeitungen erkundigten sich sogar schon, ob es möglich sei, ihre Kriegsberichterstatter in Einheiten der U S-Streitkräfte einzubetten.Und das alles wegen eines Militäreinsatzes, der weder offiziell beschlossen war noch allgemein diskutiert wurde, über den sich noch nicht einmal die Entscheidungsträger einig waren, der unter der Glasglocke Washingtons aber dennoch bereits als unumstößliche Tatsache betrachtet wurde. Die Hauptstadt redete sich den Kriegszustand förmlich herbei.
    Harry hatte sich mit einer Magen-Darm-Grippe herausgeredet, um seinen Abstecher nach London zu vertuschen, und so fragten ihn alle, ob es ihm bessergehe, als er früh am Morgen kurz nach seiner Rückkehr das Persische Haus betrat. Wie aufs Stichwort setzte er ein leidendes Gesicht auf. In seiner Abwesenheit hatte jemand auf der Brust des Imam Hussein, dessen Konterfei das Vorzimmer zierte, eine Zielscheibe angebracht. Harry lachte sehr darüber, entfernte sie aber dennoch sofort. Dann schaute er im Büro von Marcia Hill vorbei, die jedoch gerade am Telefon war. Um halb neun versammelte er seine Mitarbeiter zur morgendlichen Besprechung in seinem fensterlosen Büro. Der Kriegsbazillus schien auch seine Leute bereits infiziert zu haben.
    Bevor Marcia Hill die Besprechung mit einer kurzen Zusammenfassung der neuesten Entwicklungen der vergangenen Woche eröffnete, zwinkerte sie Harry verschwörerisch zu. Das war ihm ein wenig unheimlich: Was genau wusste sie? Ihre weibliche Intuition ließ sie vieles erahnen. Sie spürte, wenn jemand log, unzufrieden war oder sich auf dem Absprung befand. Das hatte sie seinerzeit zum großen Star gemacht. Und nach ihrer langjährigen gemeinsamen Arbeit kannte sie Harry in- und auswendig, besser noch als seine eigene Frau. Doch was immer sie auch ahnte, Harry wusste, dass sie nichts davon weitererzählen würde.
    «Wir sollten heute vor allem über die Verstärkung unserer Abteilung reden», sagte Marcia, an das ganze Team gewandt. «Ich habe Harry schon kurz darüber informiert, als er gestern krank zu Hause war, aber ich möchte doch, dass alle Bescheid wissen.»
    «Lassen Sie hören»,

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