Der Einsatz
alt. Onkel Darab verfügte über eine recht schnelle Internetverbindung, was in Teheran derzeit wahrlich keine Selbstverständlichkeit war. Eine Zeitlang klickte er sich mit Ali und Azadeh durch ein paar persische Websites für Kinder, doch die beiden hatten schon bald genug davon und zogen sich ins Spielzimmer zurück. Nasreen war mit dem Abwasch beschäftigt, Darab telefonierte im Wohnzimmer.
Viel Zeit blieb Karim nicht. Sein Onkel und seine Tante würden bald hereinkommen, um die Kinder ins Bett zu bringen. Er dachte kurz darüber nach, das «Doktor Ali»-Konto bei Hotmail zu checken, beschloss dann aber, dass das zu gefährlich war. Das war sein Eröffnungszug gewesen, doch siehatten längst auf ein anderes System gewechselt. Er rief die GoogleMail-Seite auf und tippte den Benutzernamen und das Kennwort für das «iranmetalworks»-Konto, das er bereits vor Wochen eingerichtet hatte, ein.
Sein Herz raste. Die Angst ist dein Freund, rief er sich wieder in Erinnerung. Lebe mit ihr. Erklimme sie wie eine Mauer. Das GoogleMail-Konto musste einfach sauber sein. Warum denn auch nicht? Millionen von Iranern hatten kostenlose E-Mail -Konten bei Yahoo, Google und MSN, die konnten die Behörden unmöglich alle überwachen, und soweit Karim informiert war, versuchten sie das auch erst gar nicht. Dennoch zögerte er einen Augenblick, ehe er auf «Anmelden» klickte und sich damit in die Welt der Geheimnisse begab. Es dauerte einige Augenblicke, ehe sein Login erfolgreich durchgeführt wurde. Am Freitagabend war die Verbindung immer besonders langsam. Es war Feiertag, und überall checkten die Menschen ihre Mails, spielten Internetspiele mit ihren Kindern, luden Musik herunter oder surften auf ausländischen Pornoseiten. Karim stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Doch dann leuchtete die Benutzeroberfläche hell auf dem Bildschirm auf. Karim klickte auf den Ordner mit den Entwürfen noch nicht versandter Nachrichten, und da stand es:
Wir sind schon dabei, den Urlaub zu planen. Die Tickets bringen wir persönlich vorbei. Seien Sie vorsichtig bei der Kälte, und waschen Sie sich regelmäßig die Hände, damit Sie keine Grippe bekommen.
Karim las die Nachricht zweimal durch und schloss den Ordner dann wieder. Er verspürte ein Kribbeln im ganzen Körper, als hätte er einen Stromschlag abbekommen. Schnell verließ er die GoogleMail-Seite wieder und öffnete stattdessen die beliebte Homepage der konservativen Zeitung
Kayhan
. Als Nasreen ein paar Minuten später ins Zimmer kam und ein persisches Schlaflied vor sich hin summte, war er in einen Artikel über den Mahdismus vertieft. Er fuhr den Computer herunter und half seiner Tante, die Kinder ins Bett zu bringen.
Onkel Darab bot an, Karim mit dem Wagen nach Jusef Abad zurückzubringen, und war ein wenig beleidigt, als sein Neffe ablehnte. Karim redete sich damit heraus, dass er nach dem opulenten Abendessen dringend etwas Bewegung brauche. Nasreen war mit dieser Begründung zufrieden. Sie gab ihm noch ein paar Küsse und ließ ihn gehen.
Als er das Haus in Sadeghiyeh wieder verließ, fühlte Doktor Karim Molavi sich ganz benommen. Dort draußen, auf der anderen Seite des großen Teichs, gab es eine ebenso rätselhafte wie wohlwollende Macht, die sein Flehen erhört und ihn verstanden hatte. Diese Leute würden eine Möglichkeit finden, ihn hier wegzuholen, obwohl er überwacht wurde, obwohl er keinen Pass mehr hatte und nicht auf normalem Weg reisen konnte. Sie besaßen die Möglichkeiten dazu. Er musste einfach nur bleiben, wo er war, und sie würden zu ihm kommen. Bis dahin musste er zusehen, dass er sichmöglichst unauffällig verhielt und nicht die Aufmerksamkeit seiner Überwacher erregte. Er musste sich von Krankheitserregern fernhalten. Am Leben bleiben.
Er ging ein paar Kilometer zu Fuß, immer am Rand des Pardisan-Parks entlang. Viele der Karussells und Unterhaltungsbetriebe waren noch erleuchtet – einladende, versöhnlich glitzernde Lichter –, und hier und dort waren auch noch Familien unterwegs. Selbst der hoch aufragende Fernsehturm im Nasr-Park, den Karim sonst als Schandfleck im Stadtpanorama Teherans betrachtete, kam ihm an diesem Herbstabend irgendwie harmlos vor. Er war jetzt nicht mehr allein. Sie würden ihn holen kommen.
Er hielt ein Taxi an und bat den Fahrer, ihn zurück nach Jusef Abad zu bringen, doch der Mann verfuhr sich hoffnungslos auf der Kordestan-Schnellstraße, und Karim musste ihn Stück für Stück bis zur
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