Der Einsatz
heiraten.
Karim fühlte sich peinlich berührt. Sein Onkel und dessen Familie langweilten ihn. Sie waren
bee-farhang
, unkultiviert (das schlimmste Urteil, das man als echter Iraner über einen Mitmenschen fällen konnte): durch und durch spießige Leute, die durch die Gunst des Regimes zu einem gewissen Reichtum gelangt waren. Zu den stillen Teilhabern von Onkel Darabs Transportunternehmen gehörte auch eine fromme Familie aus Qom. Karim bezweifelte stark, dass sein Onkel auch nur einmal im Jahr betete, geschweige denn fünfmaltäglich, und trotzdem spielte er das Spiel mit, so wie alle anderen auch. Bis vor ein paar Monaten hatte Karim ja selbst noch mitgespielt. Welches Recht hatte er also, über andere zu urteilen?
Onkel Darab freute sich über das amerikanische Buch. «Dir vertraut man ja», sagte er und zwinkerte seinem Neffen zu. Und Karim erwiderte, ja, man vertraue ihm. Er hoffte inständig, dass Darab nicht allzu viel Ärger bekommen würde, falls etwas schiefging. Sein Onkel mochte zwar ein Esel sein, hatte es aber trotzdem nicht verdient zu leiden, nur weil Karim den inneren Drang verspürte, ein anderes Leben zu führen.
«Das mit Hussein ist ja furchtbar», sagte Onkel Darab, als Nasreen wieder in der Küche verschwunden war. «Warum haben sie ihn bloß rausgeworfen? Er hat die Pasdaran doch so geliebt. Das ist nicht richtig.»
«Stimmt, Onkel.
Hayf
. Es hat mir sehr leidgetan für Hussein. Sie hatten wirklich keinen Grund, ihn so zu behandeln.»
«Was hat er denn getan?», fragte Darab im Flüsterton. «Etwas sehr Schlimmes?»
«Nein», antwortete Karim. «Er hatte nur die falschen Freunde. Dann haben die Zuständigkeiten in seinem Bereich gewechselt, und peng! … das war’s. Sie haben irgendetwas erfunden, was sie ihm anlasten konnten. Ich glaube aber nicht, dass es stimmt.»
«Hast du denn nicht versucht, ihm zu helfen, Karim? Du hast doch Einfluss, das weiß ich.»
«Ich habe getan, was ich konnte», sagte Karim und betrachtete angelegentlich seine Schuhspitzen. Die Frage warihm unangenehm. In Wahrheit hatte er überhaupt nichts getan, um seinem Vetter zu helfen. Er hatte viel zu viel Angst.
«Nun, für mich war es ein harter Schlag, das kannst du mir glauben», fuhr sein Onkel fort. «Hussein war mir eine große Hilfe. Er kannte die entscheidenden Leute. Wenn ich ein Problem hatte, konnte er mir immer helfen, es zu lösen. Jetzt muss ich andere Wege suchen.» Darab sah Karim erwartungsvoll an.
Das war es also. Onkel Darabs Betroffenheit über Vetter Husseins Schicksal hatte rein geschäftliche Gründe. Er bedauerte vor allem, dass er jetzt keinen Verbündeten mehr in den oberen Rängen der Revolutionsgarden hatte.
«Ich wünschte, ich könnte dir helfen», sagte Karim. «Aber du weißt ja, ich bin nur Wissenschaftler. Mit den Politikern habe ich nichts zu tun.»
«Darum würde ich dich doch auch niemals bitten, mein Lieber. Niemals. Aber als Geschäftsmann hat man es heutzutage nicht leicht. Es ist so viel Konkurrenz unterwegs. Trotzdem kommen wir ganz gut zurecht. Hast du gehört, dass ich demnächst eine Filiale in Bandar Abbas eröffne? Was wohl dein Vater dazu sagen würde, wenn er noch unter uns wäre? Sein kleiner Bruder Darab, mit drei Geschäftsfilialen und einem nagelneuen Haus. Er würde mir den Erfolg sicher gönnen. Er wäre stolz auf mich, Gott sei seiner Seele gnädig.»
«Ich bin überzeugt, dass Vater sich sehr für dich freuen würde», sagte Karim. Doch insgeheim dachte er daran, wie sehr sein Vater die ungebildeten Claqeure des neuen Iran noch auf dem Sterbebett verachtet hatte. Genau solche Leute wie den guten Onkel Darab.
Nasreen tischte ganze Berge von Essen auf. Auf wundersame Weise war es ihr gelungen, in der kurzen Zeit zwischen Karims SMS und seiner Ankunft Lammspieße
chelo kebab
mit einer riesigen Schüssel Reis, ein Brathuhn mit einer
fesenjun -
Sauce aus Granatapfelsaft, Walnüssen und Kardamom und
dolme bademjun
zuzubereiten, mit Fleisch und Rosinen gefüllte Auberginen. Karim hatte schon seit Wochen keine so gute Mahlzeit mehr gegessen und ließ sich von allem eine zweite Portion geben, was Nasreen wiederum sehr glücklich machte. Anschließend servierte sie selbstgemachte Süßigkeiten und die verschiedenen Eissorten, die der Gast mitgebracht hatte. Doch Karim schaffte beim besten Willen keine Nachspeise mehr.
Nach dem Kaffee erbot sich Karim, mit den Kindern ein wenig am Computer zu spielen. Ali war zwölf, die kleine Azadeh sechs Jahre
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