Der Einsatz
Doktor Karim Molavi seinem Onkel Darab einen Besuch im Vorort Sadeghiyeh im Westen Teherans ab. Er wollte im Internet nachsehen, ob eine Antwort auf seinen Hilferuf gekommen war, traute sich aber nicht, das an einem Computer zu tun, den er bereits benutzt hatte.
«Der Herbst ist in diesem Jahr sehr kalt hier in Teheran. Ich glaube, wir müssen bald in Urlaub fahren.»
Er hatte nicht um Antwort gebeten, war aber sicher, dass er eine bekommen würde. Und wenn er sie gelesen hatte, würde er sich nicht mehr so einsam fühlen.
Es passte ihm ganz und gar nicht, Onkel Darab und Tante Nasreen in Gefahr zu bringen, doch ihm fiel einfach kein anderer Weg ein, ohne größeres Risiko seine E-Mails zu checken. Sein Onkel leitete ein Transportunternehmen, das genug abwarf, um sich ein neues Haus am Pardisan-Park zu leisten. Außerdem hatte er einen nagelneuen Computer für seine Kinder angeschafft, den er zum letzten Nouruz, dem Neujahrsfest, in einem großen Karton aus Istanbul mit nach Hause gebracht hatte. Karim war dabei behilflich gewesen, den PC einzurichten.
Er rief nicht bei seinem Onkel an, ehe er sich auf den Weg machte. Auch das traute Karim sich nicht. Und er begab sich auch nicht auf direktem Weg zu ihm. Er verließ seine Wohnung in Jusef Abad und überquerte den Argentine-Platz bis zur U-Bahn -Station am Mosalla-Gebetsplatz. Dort war freitags nur wenig los. Dann fuhr er mit einem Zug der Linie 1 nach Süden. Eine Frauenstimme sagte die Stationen an:
Martyr Beheshti, Martyr Mofateh
. Karim schaute aus dem Fenster und versuchte, sich zum Stillsitzen zu zwingen. Nach ein paar Stationen stand er auf und trat an die Tür, um zutesten, ob noch jemand aufstehen und ihm folgen würde. Doch keiner rührte sich. Als die Bahn an der Station Imam Khomeini hielt, stieg Karim Molavi in die Linie 2 um und fuhr zwei weitere Stationen bis zum Baharestan-Platz. Dort verließ er die U-Bahn und spazierte einmal um das Parlamentsgebäude herum. Er konnte keine Verfolger entdecken, aber wenn sie ihren Job gut machten, würde er sie auch kaum bemerken können.
Dann ging er ein paar Straßen weiter nach Süden, bis zur Station am Melat-Park, wo er teure belgische Pralinen für Tante Nasreen und ein Buch für Onkel Darab kaufte,
«Das Ende der Freiheit?»
von Fareed Zakaria, ins Farsi übersetzt. Das würde seinen Onkel zwar irritieren, zugleich aber auch beeindrucken. In einer im amerikanischen Stil eingerichteten Eisdiele kaufte er noch Eis für die Kinder.
Anschließend schrieb er seinem Onkel eine SMS, dass er in der Gegend sei und gern auf einen Sprung vorbeikommen würde. Wenige Sekunden später schrieb Darab zurück und lud ihn zum Abendessen ein. Natürlich. In seinen Augen war sein Neffe Karim schließlich ein erfolgreicher junger Mann in einer verantwortungsvollen Position, über die man nichts Genaues wissen durfte. Manchmal hatte Karim den Verdacht, dass sein Onkel sich sogar ein wenig vor ihm fürchtete.
Er ging zum Eingang der U-Bahn -Station. Inzwischen waren die Straßen etwas belebter, Familien kehrten von ihren Freitagnachmittagsausflügen zurück. Bevor er die U-Bahn -Station betrat, setzte Karim eine Baseballkappe auf und zog sie so tief ins Gesicht, dass man ihn kaum noch erkennen konnte. Bestimmt waren all diese Stationen mit Überwachungskameras ausgestattet, mit Kameras, die Bildersämtlicher Fahrgäste festhielten. Doch so leicht würde er es ihnen nicht machen. Karim fuhr zehn Stationen nach Westen, lauschte dem Rattern des U-Bahn -Zuges und hielt die Tüte mit den Geschenken fest an sich gedrückt. Hoffentlich schmolz das Eis nicht in der Zwischenzeit. Als er die Endstation am Sadeghiyeh-Platz erreicht hatte, stieg er aus und ging zu Fuß zum Haus seines Onkels. Unterwegs blieb er mehrmals stehen und machte schließlich noch ganz bewusst einen Umweg über eine Sackgasse. Er hatte nicht das Gefühl, dass man ihm folgte.
Seine Tante und sein Onkel empfingen ihn an der Tür und überhäuften ihn mit Küssen. Darab hatte ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, einen schmalen Schnurrbart und einen schelmischen Blick in den Augen, und Nasreen war eine bildschöne Frau, die allerdings ebenfalls ein wenig in die Breite gegangen war. Sie führten Karim in ihr neu eingerichtetes Wohnzimmer, wo Sofa und Sessel noch mit Schonbezügen aus Plastik überzogen waren. Seit Monaten hatten sie ihren Neffen nicht mehr gesehen. Wie es ihm denn ergangen sei? Er sehe dünn aus. Esse er denn auch genug? Er müsse dringend
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