Der Einzelgänger
ist eine fest umrissene, aber sozial heterogene Gruppe - zumindest gilt das für die Cutters -, und, was das Beste daran ist, die ›normale‹ Gesellschaft wird den Vorgängen nicht allzuviel Aufmerksamkeit widmen.«
»Wenn es überhaupt bekannt wird«, schließt Dicer leise. Offenbar hat sie die Versuche der Nachrichtenmedien, die ›Gang-Pest‹ herunterzuspielen, ebenfalls mitbekommen. »Also ein Feldtest?«
»Militärische und paramilitärische Organisationen testen ihren Drek immer, bevor sie ihn einsetzen«, sage ich, und Argent nickt zustimmend. Ein neuer Ausdruck breitet sich auf Doc Dicers Gesicht aus. »Das gilt auch für Anbieter«, sagt sie so leise, daß ich sie kaum verstehen kann.!!!!!!!!!!
Ich weiß nicht, wie Argent zur Klinik gekommen ist, aber er fährt nur allzu gerne mit mir in dem Westwind nach Renton zurück. Eine derartig große Nähe zu dem Runner macht mich immer noch rappelig, aber ich muß zugeben, daß ich die Möglichkeit begrüße, jemanden mit meinen Gedanken zu konfrontieren, jemanden, der mehr über den Hintergrund weiß, als meiner Ansicht nach ratsam gewesen wäre, Doc Dicer zu erzählen.
Vielleicht liest Argent meine Gedanken. »Wie siehst du die Sache?« fragt er, während wir über die Auffahrt zum Highway 5 in Richtung Süden donnern.
Ich zucke die Achseln. »Doc Dicer hat wahrscheinlich recht«, sage ich zögernd. »Ein Virus wie dieses ist die perfekte Terroristenwaffe, aber Biowaffen werden in der Regel nicht von Terroristen entwickelt. Schließlich stellen sie ja auch ihren C9-Plastiksprengstoff nicht selbst her. Sie kaufen ihn von Ares Arms oder sonst-wem.«
»Oder stehlen ihn«, wirft der Runner ein.
»Egal. Das ist das gleiche. Was sie bekommen, ist ein vollständig entwickeltes, vollständig getestetes Produkt.«
»Beängstigend.«
»Ohne Drek!« fauche ich fast zurück.
Ein paar Minuten lang fahren wir schweigend weiter. Wir rauschen gerade am schwarzgrau gescheckten Kingdome vorbei, als Argent sagt: »Wer also?«
Ich werfe ihm einen Blick zu. Seine Miene ist zu einem grimmigen Ausdruck erstarrt und zeigt die gleiche straffe Kontrolle, wie man sie in den Kriegsberichterstattungen auf den Gesichtern der Wüstenkriegsveteranen sehen kann - und wiederum weiß ich, daß er dasselbe denkt wie ich. Zum Teufel damit, irgendwer muß es ja sagen. »Die verdammten Elfen, wer sonst? Die Delegation aus Tir Tairngire einschließlich Chum-mer Nemo. Alles andere wäre ein zu großer Zufall.« Ich zucke wieder die Achseln. »Jedenfalls hatten sie die beste Gelegenheit, die Sache durchzuziehen. Zwei Treffen mit Blake und den anderen - mindestens zwei - in einem Unterschlupf der Cutters. Das erste, um das Virus freizusetzen, in die Luft, ins Essen, wie auch immer. Das zweite, um den Zauber zu wirken.« Ein neuer Gedanke trifft mich mit der Wucht einer Neun-Millimeter-Kugel, und plötzlich ist mir sehr, sehr kalt. »Bei dem ersten Treffen war ich auch dabei...«
Argent grinst dünn, aber es ist kein Ausdruck seines Humors. »Ich habe mich schon gefragt, wann du darauf kommen würdest.«
»Ich könnte diesen Drek auch in mir haben.«
»Du könntest«, betont er. »Aber beim zweiten Treffen warst du nicht im Wirkungsbereich des Zaubers -wenn es tatsächlich so gelaufen sein sollte.«
Richtig, aber nicht so beruhigend, wie es klingt. Wenn meine Gedankenkette stimmt, trage ich eine biologische Zeitbombe in der Lunge oder in den Eingeweiden herum, und derjenige, der sie dort gelegt hat, kann sie mit einem einzigen Zauber zur Explosion bringen. Nur mit allergrößter Anstrengung gelingt es mir, diese Ängste tief in den mentalen Sumpf meines Hinterkopfes zu verdrängen. Sie werden wieder hochkommen, klar - und wahrscheinlich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt -, aber zumindest bin ich sie einstweilen los. Was soll's, sage ich mir, schön, vielleicht habe ich das Virus im Körper. Aber um es zu aktivieren, müssen die bösen Jungs - wer sie auch sein mögen - mich mit dem Aktivierungszauber aufs Korn nehmen. Was wiederum erfordert, daß sie wissen, wo ich mich befinde und daß ich mit dem Virus infiziert bin. Die Chancen dafür? Ziemlich gering, oder zumindest ziehe ich es vor, das so zu sehen. Wer weiß? Vielleicht ist es auch gar nicht erst zu einer Infektion gekommen.
Der verchromte Runner beobachtet mich immer noch, also bemühe ich mich um eine gelassene, coole Miene. »Ja, nun, das macht keinen so großen Unterschied, oder?« sage ich. Seine Lippen verziehen sich ein
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