Der Einzelgänger
aber man muß trotzdem wissen, wie man Datenbanken durchsucht und sich Zugang zu dem Drek verschafft, den man braucht. Man kann den heißesten Wagen auf der Straße haben, aber wenn man nicht weiß, wie man das Goldstück fährt, gewinnt man mit ihm auch keine Rennen. Also verbrachte ich einen Großteil des Tages damit, mich von der Sicherheit in Systemen wie den Personalakten der normalen Angestellten Lone Stars herumschubsen zu lassen - Sicherheit, die jeder Decker, der diesen Namen zu Recht trug, mühelos überwunden hätte. Drek, ich kam nicht mal in das System des hiesigen Börsenbeobachtungsdienstes - ein nominell offenes System, das mir nicht mal die Uhrzeit verraten wollte, weil ich keinen Mitgliedsbeitrag entrichtet hatte -, um festzustellen, ob der Kurs für TIC-Aktien stieg oder fiel. (Von dieser Art Geschäft habe ich eigentlich keine Ahnung, aber ich habe schon oft gehört, daß das, was mit den Aktienkursen eines Konzerns passiert, sehr aufschlußreich sein soll.)
Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als mir die Nachrichtendateien anzusehen - zumindest diejenigen, auf die ich zugreifen konnte, ohne irgendeine Benutzer- gebühr zu entrichten. Ich startete ein Dutzend Suchen mit verschiedensten Parametern, Schlüsselworten und Booleschen Zeichen - jede vernünftige Kombination von ›Seuche‹, ›Epidemie‹, ›Infektion‹, ›Retrovirus‹ und ›Gang‹, die mir einfiel.
Und fand einen großen Haufen heißer Luft. Nichts, überhaupt nichts, nicht einmal ein Dementi des Berichts, den ich auf dem Weg nach Ravenna bei News-Net gehört hatte. Kein Widerruf, keine Entschuldigung, keine Erklärung für die Behauptung, es sei zum Ausbruch einer neuen VITAS-Epidemie gekommen. Keine Kommentare von Dr. Blatherman. Nichts. Es war, als hätte es die ursprünglichen Berichte nie gegeben. Ein totaler Medien-Blackout. Verdammt unheimlich, Chummer.
So verbrachte ich den Tag nach Pacos Tod. Und auch den Morgen des nächsten Tages und noch einen Teil des Nachmittags. Als schließlich Argent zur Tür hereinspazierte, war ich einem Rappel nahe.
»Was, zum Teufel, hat dich so lange aufgehalten, Argent?« will ich von ihm wissen. Der verchromte Runner antwortet nicht auf meine höfliche Begrüßung, sondern geht nur zum Sessel und läßt sich darauffallen. Er ist schon wieder müde, keine Ahnung, warum. Schließlich ist nicht er derjenige, welcher nach den Daten sucht. Das erledigt Peg Soundso, die Deckerin aus San Francisco. Da muß ich mich doch fragen, ob er nebenbei noch andere Arbeiten erledigt, die ihn so fertigmachen. Ja, das wäre wieder mal typisch, nicht wahr? Er braucht einfach Umsätze, sonst zieht die Internationale Vereinigung der Shadowrunner seine Mitgliedskarte als akkreditiertes Söldnerschwein ein.
Oder vielleicht hat er einfach nur keinen oder wenig Schlaf bekommen, weil er sich über diesen Terror-Virus-Drek Gedanken gemacht hat. Verdammt, ich sehe wahrscheinlich nicht viel besser aus. »Hast du irgendwas?« frage ich.
Er wirft mir ein Chipetui zu. »Leg das mal ein.«
Ich öffne das Etui und lege den Chip ins Telekom ein. Argent nennt mir den Zugangscode, den ich eintippe. Der Schirm füllt sich augenblicklich mit Text und organisatorischen Tabellen, die wie kreisförmige Flußdiagramme oder vielleicht Netze aussehen, die von Spinnen auf einer Überdosis Electric Lady gewoben wurden. »Was, zum Teufel, ist das?«
»Das«, sagt er, »ist der TIC-Schirm - oder vielleicht ist ›Imperium‹ ein besseres Wort. Zwei Dutzend bedeutende Unterabteilungen. Doppelt so viele Tochtergesellschaften, die sich hundertprozentig in TIC-Besitz befinden. Bedeutende Anteile an vielleicht hundert anderen Konzernen sowie strategische Partnerschaften und Gemeinschaftsunternehmungen mit mindestens ebenso vielen.«
Ich spitze die Lippen zu einem lautlosen Pfiff. »Beeindruckend. Ich hätte nicht gedacht, daß es in Tir richtige Megakonzerne gibt.«
Argent kichert trocken. »TIC ist ein mittelgroßes Konglomerat«, sagt er, »aber nicht einmal in der Nähe eines Megakonzerns. Noch nicht. MCT oder Yamatetsu oder jeder andere Mega aus der ersten Reihe könnte das gesamte TIC-Netz mit den Notreserven kaufen.«
Darüber will ich im Moment lieber nicht nachdenken. Statt dessen deute ich auf den komplexen Drek auf dem Bildschirm. »Hilf mir dabei, ja?«
»Wo willst du anfangen?«
»Bei dem gentechnischen Aspekt, okay?«
Er lächelt grimmig. »Wie ich schon sagte, wo willst du anfangen?«
Oha. »Viel
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