Der Einzelgänger
wenig, und ich weiß, daß er mich durchschaut, aber er läßt es dabei bewenden. Zumindest hat er den Anstand, einen Mann seiner eigenen verdammten Paranoia zu überlassen.
Wir fahren noch ein paar Minuten länger durch die rasch hereinbrechende Dunkelheit, dann ist es erneut Argent, der das lastende Schweigen bricht. »Wer?« fragt er.
Er braucht die Frage nicht näher zu erklären. »Timothy Telestrian und seine Fraktion«, sage ich kategorisch.
»Das weißt du nicht«, stellt er fest.
»Der Telestrian-Aspekt ist da. Lynne Telestrian und Lightbringer sprechen eine deutliche Sprache. Und wenn es nicht Timothy ist, haben wir nichts mehr, woran wir uns halten können. Ich sage, wir bleiben dabei, bis wir auf etwas stoßen, das konkret dagegen-spricht.«
Argent nickt zögernd. Er argumentiert nicht, weil er weiß, daß ich recht habe. Wenn man nur eine Spur hat, folgt man ihr auch dann, wenn es kein hundertprozentiger Treffer zu sein scheint, in der Hoffnung, dadurch auf etwas anderes zu stoßen. Die einzige Alternative besteht darin, herumzusitzen und darauf zu warten, daß einem irgendwas in den Schoß fällt, und das ist eine ganz verdammte Zeitverschwendung.
»Timothy ist Präsident von BioLogic, nicht wahr?« sinniere ich. Argent nickt bestätigend. »BioLogic klingt so, als könnte der Laden mit Gen-Drek zu tun haben.«
»Eine Gentechnologie-Firma? Könnte sein. Ich setze Peg darauf an.«
»Sie soll jeder gentechnologischen Aktivität unter der TIC-Schirmherrschaft nachgehen«, sage ich. »So offensichtlich ist die Verbindung vielleicht nicht.«
Er nickt wieder. »Ich sage es ihr.« Er schweigt einen Augenblick, dann sagt er: »Es könnte einige Zeit dau- ern. Vielleicht ist es am besten, wenn du dich in der Zwischenzeit bedeckt hältst.«
Ich überrasche mich dabei, wie ich über die Ringe unter Pacos Augen und das Geräusch seines Atems nachdenke, und meine Haut fängt an zu kribbeln. »Ich glaube, genau das brauche ich jetzt auch«, sage ich leise.
23
Paco starb in jener Nacht so etwa gegen 0230. Doc Dicer rief mich an, um es mir mitzuteilen, und zwar über ein blindes Relais ganz ähnlich dem, über das ich ursprünglich mit Argent Kontakt aufgenommen hatte. (Der Runner hatte Doc Dicer die Nummer trotz ihrer offensichtlichen Freundschaft nicht geben wollen, aber ich hatte darauf bestanden und er schließlich nachgegeben.) Sie sagte nicht: »Er ist ganz friedlich gestorben«, oder irgendwas von diesem ach so tröstlichen Drek, den Ärzte den Angehörigen gewöhnlich auftischen. Sie brauchte mir gar nichts zu sagen, ich wußte, wie er abgetreten war - einatmen, ausatmen, klick... und dann nichts mehr.
Die Nachricht nahm mich dermaßen mit, daß ich erst wieder einschlief, als sich die Gewitterwolken im Osten zu lichten begannen. Wieder ein Freund tot. Und natürlich half mir auch nicht das Wissen, daß dasselbe verdammte Virus möglicherweise auch in meinem Körper lauerte. Als ich schließlich wieder einschlief, waren die Träume alles andere als angenehm. Ich befand mich wieder auf dem Parkplatz, der die Hölle war, aber diesmal atmete jeder in meiner Umgebung wie Paco, und ich konnte spüren, wie in meinen eigenen Lungen der erste Schleim vor sich hin blubberte. Einfach Sahne.
Als ich schließlich gegen 1030 aufstand, um mich dem Tag zu stellen, beschloß ich, mir Argents Rat zu Herzen zu nehmen und den Kopf unten zu lassen. Konkret, so weit unten wie nur möglich, und ich verließ das Zimmer nur, um aufs Klo zu gehen. Offenbar hatte Argent Jean Trudel eingeweiht, so daß Mahlzeiten - fettiger Kneipenfraß, wie nicht anders zu erwarten - zu mir nach oben geliefert wurden. Frühstück - und Mittag-und Abendessen - im Bett, wenn mir der Sinn danach stand. Alle drei Mahlzeiten bestanden aus Soywürst-chen nach bayrischer Art auf Brötchen mit der Konsistenz von Styropor. Lecker, lecker.
In der Zeit, in der ich kein Fett in mich hineinstopfte, ergriff ich die Gelegenheit, die Möglichkeiten des Tele-koms in dem Zimmer auszutesten. Sie waren, mit einem Wort, vielfältig - vielfältiger als meine Fähigkeit, sie voll auszunutzen. Ein paar Stunden lang schlug ich mich mit einem schlimmen Fall von TGB - Tech gescheiter als Benutzer - herum, bis ich über die interaktive Online-Hilfe stolperte und ich elektronisch an die Hand genommen wurde, während ich untersuchte, was das Gerät für mich leisten konnte.
Nicht, daß mir das viel genützt hätte. Klar, ein hoch-klassiges Telekom ist schön und gut,
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