Der Einzelgänger
Computer. Überprüf mal den Raketenangriff auf ein Privatfahrzeug, der vor ungefähr dreißig Stunden in Montlake stattgefunden hat. Ein Todesopfer, eine gewisse Catherine Ashburton - du findest sie in den Lone Star-Akten, wenn du tief genug gräbst.«
»Ist sie auch eine Undercover-Agentin?« will Argent wissen.
»Sie war Datenanalytikerin«, antworte ich.
»Was hat sie damit zu tun...?«
Wiederum falle ich ihm ins Wort. Die Wut fühlt sich wie ein großer Fremdkörper in mir an, der auf meine Lunge drückt und mir die Kehle zusammenpreßt, so daß ich die Worte kaum herausbekomme. »Ich war in dem verdammten Wagen.« Meine Stimme ist kalt wie der Tod. »Reines Glück, daß ich nicht auch ins Gras gebissen habe.« Ich versuche mich zu beherrschen - dieses Arschloch von einem Shadowrunner braucht es nicht zu wissen -, aber ich kann nicht. »Sie ist verbrannt. Cat Ashburton ist lebendig verbrannt. Der Anschlag wurde von einem Taktischen Einsatzkommando von Lone Star verübt. Sie waren hinter mir her. Prüf das nach.«
Ein langes, lastendes Schweigen tritt ein - zehn Sekunden, vielleicht länger -, dann meldet Argent sich wieder. Die Feindseligkeit in seiner Stimme ist kühlem Professionalismus gewichen. »Ich prüfe es, Larson«, sagt er. »Und was willst du von mir?«
»Ein Treffen.« Die Worte sind mir schon herausgerutscht, bevor ich weiß, was ich sagen werde. Doch als ich sie ausspreche, weiß ich, daß es die Wahrheit ist.
»Wenn das eine Falle ist...«
»Keine Falle«, brülle ich fast. »Du kannst dir Ort und Zeit aussuchen. Bring Freunde mit, sichere die ganze Gegend, das ist mir alles völlig egal. Ich komme alleine. Wenn dir nicht gefällt, wie sich die Sache entwickelt -wenn dir nicht gefällt, wie ich mich anziehe -, leg mich um. Ich brauche die Ruhe und den verdammten Frieden!«
Er antwortet nicht sofort. Dann kichert er leise. »Du hast dein Treffen, Lone Star. Ich nenne dir jetzt die Einzelheiten.«
Warum, zum Teufel, habe ich mich darauf eingelassen? Ja, klar, mein Verstand weiß, daß es der einzig logische nächste Schritt ist - ohne Hilfe bin ich gestrandet. Aber es ist auch nicht mein Verstand, der meine Eingeweide so stark zusammenkrampft, daß ich kotzen könnte. Angst? Wer hätte keine, wenn eine unbekannte Situation mit jemandem auf ihn wartet, der ihn und seinesgleichen immer als Feind betrachtet hat? Das andere Gefühl ist Abscheu, dieser ganze Drek mit ›Wer hätte gedacht, daß ich je so tief sinken würde‹. Schon allein bei dem bloßen Gedanken, mich mit Shadowrunnern einzulassen, komme ich mir irgendwie besudelt vor.
Ich verdränge diese Gedanken ganz tief in mein Unterbewußtsein. Dieses Treffen wird kitzlig genug, auch ohne daß Argent mir ansieht, daß ich ihn und alle anderen Runner verachte.
Eines muß ich ihm aber lassen. Er sucht gute Treffpunkte aus. (Natürlich hat er am Telefon keine Einzelheiten genannt. Das wäre kaum mehr als eine Einladung für IrrelKonzern und alle anderen in der Leitung gewesen, ihre Aufwartung zu machen. Ich bekam die Daten durch einen Anruf aus einer weiteren verdammten Telefonzelle bei einem weiteren blinden Relais.) Als Argent einem Treffen zustimmte, ging ich davon aus, daß er bis zum Abend warten und einen Treffpunkt in der Nähe der Docks aussuchen würde. Für mich hätte das bedeutet, den Rest des Tages irgendwo und irgendwie totschlagen zu müssen.
Doch statt dessen überraschte er mich. Ein Treffen am frühen Nachmittag an einem Ort, von dem ich bisher nur gerüchteweise gehört habe - das Loch in der Wand, eine Kneipe draußen in Renton in der Nähe der Kreuzung Maple Valley Road und Jones Road. Auf der Straße heißt es, das Loch sei ein Treffpunkt für Shadow-runner - hauptsächlich für Ausgebrannte und Möchtegerns, aber ein paar von der ›A-Liste‹ sollen sich dort ab und zu ebenfalls sehen lassen. (Aber wenn das der Fall ist, fragen Sie sich jetzt, warum, zum Teufel, hat Lone Star den Laden dann noch nicht dichtgemacht? Weil das Geschwätz auf der Straße kein Beweis ist, Chummer. Offenbar ist das Loch einer der miesesten Läden, um die einen großen Bogen zu machen man sich wirklich bemühen würde, aber die Besitzerin - laut Straßengeschwätz eine gewisse Jean Trudel - sorgt dafür, daß sich der Laden so gerade noch innerhalb der vom Gesundheitsamt gezogenen Grenzen bewegt. Und ansonsten? Tja, Drek, sagen wir, der Star ist hinter irgendeiner Schattenschnalle her, und sie taucht im Loch unter. Die Jungs in Blau
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