Der Einzelgänger
der Neid lassen.« Es ist dieselbe Stimme wie zuvor, jedoch mit einem merkwürdigen Unterton ironischer Belustigung unterlegt.
»Du bist Argent, stimmt's?«
Am anderen Ende herrscht einen Augenblick lang Schweigen. Dann: »Ich bin Argent«, bestätigt die Stimme. »Und du bist Richard Norman Larson, Angestellter bei Lone Star mit der Nummer 714-80-795, sehr gut ausgebildet und erfahrener Undercover-Spezialist, ursprünglich in Milwaukee Mitglied der Abteilung Organisiertes Verbrechen, dann 2052 für unbestimmte Zeit nach Seattle überstellt.« Eine weitere Pause, dann fährt Argent fort: »Wie ich schon sagte, Chummer, du hast echt Mumm.« (Ist da eine Spur Bewunderung in seiner Stimme?) »Kein bißchen Grips, aber echt Mumm. War mir ein Vergnügen, mit dir zu reden, Omae.«
Ich stelle mir lebhaft vor, wie Argent den Finger ausstreckt, um die Verbindung zu unterbrechen. »Warte!« schnappe ich.
»Warum?« Jetzt hat Argents Stimme wieder den belustigten Unterton. »Damit du meinen Aufenthaltsort feststellen kannst? Gib dir keine Mühe.«
»Nein.« Meine Gedanken überschlagen sich wieder. Ich übersehe etwas, und zwar etwas Wichtiges. Mein Unterbewußtsein hat alle Alarmknöpfe gedrückt. Außerdem rät es mir, den Kontakt mit Argent nicht zu verlieren. Ich brauche nur etwas Zeit, um mir zu überlegen, was ich ihm sagen soll. Zeit...
Ich sehe auf die Uhr. Zeit! Wie lange ist es her, seit ich das blinde Relais angerufen habe, seit ich die Botschaft für Argent hinterlassen habe? Kaum zehn Minuten. Mir kommt ein schrecklicher Verdacht. Zehn Minuten... »Du bist ein schneller Arbeiter, Argent«, sage ich, wobei ich versuche, locker zu klingen. »Du hast - wie lange? - gebraucht, um meine Personalakte aus Mil-waukee zu beschaffen? Zehn Minuten? Schnelle Arbeit, Priyatel... Oder vielleicht brauchtest du Milwaukee gar nicht zu überprüfen. Vielleicht hast du deine Krallen ja auch ganz tief in die Seattier Datenfestung geschlagen, hm?«
Argent schnaubt. »Du bist ein paranoider Arsch, Lar-son«, sagt er gelassen. »Ich brauchte gar nicht tief zu buddeln. Der Schutz, den Lone Star Seattle seinen Personalakten angedeihen läßt, ist einen Drek wert.«
»Häh?« Selbst für mich hört sich meine Stimme an, als hätte mir gerade jemand in den Magen getreten. Etwas Kaltes verkrampft sich unter meinem Herzen wie eine Faust. »Was hast du gerade gesagt, Argent?«
Er ist überrascht und - ehrlich, Sherlock - mißtrauisch. »Was meinst du?«
»Du sagst, du hättest gerade die normalen Personalakten von Lone Star Seattle geknackt, und, peng, da war ich?«
»Ja, das ist genau das, was ich...« Die Stimme des Runners verliert sich, und ich weiß, er ist über dieselbe Anomalie gestolpert wie ich. Ein paar Sekunden herrscht Schweigen, dann meldet er sich wieder. »Was für ein halbgares Spiel willst du hier spielen, Larson?«
»Spiel? Ja, klar. ›Fang den Hut‹, und ich bin das Hütchen.«
»Was, zum Teufel, willst du damit sagen?«
»Ich brauche es gar nicht mehr zu sagen, oder?« fauche ich zurück. »Ich bin dieser brandheiße Undercover-Spezialist aus Milwaukee, richtig? Ausgebildet und erfahren, wie meine Personalakte besagt. Und diese Personalakte findest du bei den normalen Angestelltenakten mitten zwischen den Sekretärinnen und Schreibdrohnen? Ja, bestimmt. Komm schon, Argent, denk doch mal nach. Wie viele andere Undercover-Agenten hast du in den Akten gefunden, hm? Sag mir das. Oder nein, bei näherer Überlegung werde ich es dir sagen. Exakt null, stimmt's?«
Wiederum Schweigen, und ich weiß, daß ich recht habe. »Wenn das irgendeine Doppeltarnung ist, wirst du damit kein Glück haben, Larson«, knurrt Argent, aber der Ärger ist jetzt zumindest teilweise vorgetäuscht, das kann ich hören.
»Ja, klar, brillante Tarnung«, höhne ich. »Vielleicht komme ich dadurch näher an dich ran, aber in der Zwischenzeit machen die Cutters Hamburger aus mir. In meiner Akte stand doch bestimmt, daß ich im Moment bei den Cutters ermittle, richtig? Glaubst du, die Cutters könnten vielleicht, nur vielleicht, ab und an mal einen Blick auf die Personalakten der normalen Angestellten Lone Stars werfen, hm?«
»Also...«
»Also bin ich, verdammt noch mal, nicht mehr zu retten«, schneide ich ihm schroff das Wort ab. »Verdammt noch mal untragbar. Du weißt, wovon ich rede?«
»Ich habe diese Ausdrücke schon gehört«, sagt er trocken. »Beweise es.«
»Du willst einen Beweis? Du bist doch so gut mit einem verdammten
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