Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
habe nicht mehr auf ihn eingeredet als du oder Sílvia. Damals habe ich mir noch etwas davon versprochen. Jetzt ist es mir egal.«
»Klar hatten alle ein Interesse daran, dass Gaspar nicht plauderte.« Héctor schaute sie der Reihe nach an. »Haben Sie noch einen Pakt geschlossen? Den zu beseitigen, der Reue zeigt?«
»Sie glauben, wir hätten ihn und seine Familie umgebracht?« Aus Octavis Tonfall klang Sarkasmus. »Wir sind keine Verbrecherbande, Herr Inspektor.«
»Nein. Das sind Sie nicht. Aber Sie haben an diesem Abend eine gefährliche Linie überschritten, Herr Pujades.Sie konnten nicht mehr zurück. Ich weiß nicht, wie Sie einander weisgemacht haben, zwei gewaltsame Todesfälle könnten ungestraft bleiben, aber ich bin sicher, dass Sie seither kaum eine Minute ruhig geschlafen haben.«
Brais Arjona stand auf und zog sich sein Jackett an. Er sah seltsam gelassen aus.
»Sie haben recht, Inspektor. Und wenn Sie nichts weiter wünschen, gehe ich jetzt. Ich habe zu tun.«
Héctor hätte sie am liebsten verhaftet, aber er konnte nicht. Er hatte gehofft, wenn er herausfand, was Monate zuvor in diesem Haus fern der Stadt geschehen war, wäre das Geheimnis der vermeintlichen Selbstmorde so gut wie gelüftet. Vielleicht hatte einer der Männer die schmutzige Arbeit übernommen, um die anderen zu schützen; genauso konnten die Toten Opfer einer Rache sein. Noch blieb alles offen.
Er sah sie hinausgehen, einen nach dem anderen, in ihren Jacketts aus feinem Tuch und ihren eleganten Mänteln. Herrscher und Büttel einer Welt in Grau. Untertanen ohne Königin, die nun eingesperrt war, nachdem sie sie verraten hatte. Was soll der Unsinn, Salgado, sagte er sich. Hier geht es nicht um Fürsten oder Könige, sondern um ganz gewöhnliche Typen. Von denen einige mehr Geld hatten als die meisten, wohl wahr …
Und da, ganz plötzlich, als wären sie nicht länger Personen, sondern Dominosteine, die bei der leisesten Berührung der Reihe nach umkippen, stand Héctor auf, stieß Herrn Alemany beiseite und lief den Flur hinunter, rannte fast, hin zu dem Raum, wo Sílvia noch saß. Die Königin kurz vor ihrem Sturz.
Er stürmte so heftig herein, dass sie erschrak.
»Beantworten Sie mir eine Frage. Wann sollen Sie das Geld übergeben, das man fürs Schweigen von Ihnen verlangt?«
Sílvia schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. Zu viel stand auf dem Spiel bei einer Antwort, aber genauso begriff sie, dass dieser Feind dort vor ihr nicht lockerlassen würde.
»Na los, antworten Sie. Sonst sorge ich dafür, dass man Ihnen vierundzwanzig Stunden am Tag folgt. Sie haben verloren. Alle haben verloren.«
»Morgen, Freitag«, sagte sie schließlich. »Vor fünf Uhr nachmittags.«
»Erzählen Sie niemandem etwas davon. Und tun Sie genau, was ich Ihnen jetzt sage.«
Fort war nicht an seinem Schreibtisch, und Héctor beschloss, auf eine Zigarette hinauszugehen. Seine Lungen verlangten nach Nikotin und sein Gehirn nach frischer Luft. Schon wieder dunkel, sagte er sich, er hatte heute nicht einmal das Tageslicht gesehen.
Als er wieder zurückkam, stand Fort an der Tür seines Büros.
»Inspektor«, sagte der bei seinem Anblick, auf einmal ganz munter, »ich dachte, Sie wären schon weg, und ich wollte Ihnen noch etwas sagen.«
»Hat es mit dem Fall zu tun?«
»Nein …«
»Dann hat es Zeit bis morgen.«
»Die Sache ist, das geht nicht, Inspektor.«
»Dann sag schon, was auch immer.« In Héctors Hirn rauschte es noch zu sehr, als dass er sich auf etwas konzentrieren konnte, was nicht in direktem Zusammenhang mit dem stand, was ihn seit Stunden beschäftigte, und so schaffte er es nicht, ihm zuzuhören. Bis er aus dem Redefluss zwei Wörter heraushörte, die alle Alarmglocken schrillen ließen: den Vorname seines Sohns und das Wort Krankenhaus.
»Was sagst du?«
»Ihr Sohn Guillermo hat angerufen, Inspektor«, wiederholte Fort. »Er ist im Sant Joan de Déu, im Krankenhaus. Aber bekommen Sie keinen Schreck, es ist nicht seinetwegen. Er ist dort mit der Unterinspektorin Leire Castro. Sie bekommt ihr Kind.«
Roger Fort würde sich von nun an rühmen können, zu den wenigen zu gehören, die Inspektor Salgado angesichts einer Nachricht völlig perplex gesehen hatten.
42
Neugeborene, dachte Héctor, wecken bei Erwachsenen zärtliche Gefühle, bei Jugendlichen Angst. Oder zumindest ahnte er es, als er Guillermos Gesicht sah und wie er mit einer Miene, in der Furcht und Besorgnis verschmolzen, dieses kleine
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