Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
echten kleinen Lächeln. »Am Telefon sagtest du, du möchtest über Ruth sprechen.«
»Ja. Ich weiß, das klingt merkwürdig. Ich bin mir nicht mal selber sicher, dass ich es verstehe, aber … Ich habe das Gefühl, dass der Fall nicht richtig angegangen wurde.« Sie korrigierte sich, ehe Carol falsche Schlüsse zog: »Ich meine, wir alle waren zu nahe dran, vor allem Inspektor Salgado. Außerdem sind viele Sachen gleichzeitig passiert.«
Sie hielt kurz inne, ehe sie ihren Gedanken beendete.
»Ich würde ihn gerne von einer nüchterneren Warte aus betrachten. Und dafür muss ich Dinge über sie wissen. Wie sie war, was sie gemacht hat … Ob sie Sorgen hatte.«
Carol nickte stumm. Ihr Blick war noch getrübt von einerleichten Verunsicherung, doch sie schien entschlossen, ihr zumindest ein Mindestmaß an Vertrauen zu schenken.
»Könnte ich dir das nur sagen. Wie sie war, wie sie ist. Ich will nicht von ihr in der Vergangenheit sprechen, und objektiv bin ich bei dem Thema auch nicht.«
»Egal, du kannst so subjektiv sein, wie du willst.« Sie begriff, dass Carol nicht zu Vertraulichkeiten neigte, also half sie ihr auf die Sprünge. »Wie lange wart ihr zusammen?«
»Ich weiß nicht, ob ich das ausgerechnet dir sagen sollte.« Sie schaute sie nicht an, starrte nur auf das Cover der Zeitschrift.
»Es bleibt unter uns. Wie gesagt, Inspektor Salgado ist nicht informiert. Und so soll es auch bleiben.«
Carol seufzte.
»Héctor … Himmel, wie ich diesen Namen hasse! Der Typ hat was Besonderes, nicht? Ich kenne diese Männer, sie schaffen es, dass die Welt sich nur um sie dreht. Ja, ich weiß, sie verlangen nie etwas. Sie handeln, als genügten sie sich selbst. Aber gleichzeitig schreien sie nach Hilfe. Zumindest ist es das, was bei euch Heterofrauen ankommt.«
»Sah Ruth das auch so?«
»Ruth hat ihr Leben damit zugebracht, Héctor zu verstehen. Nicht wie eine Mutter, aber so wie sie manchmal reagierte, kam es mir vor, als wäre sie seine … wie soll ich sagen, seine ältere Schwester. Mit der Zeit hat sie sich von der Rolle gelöst, aber es war nicht leicht für sie.«
»Wann hat das mit euch angefangen?«
»Offiziell sechs Monate bevor sie mit ihrem Mann Schluss gemacht hat. Aber die gegenseitige Anziehung war schon vorher da, gleich als wir uns kennenlernten. Zumindest von meiner Seite, und wenn man sieht, wie sich alles entwickelt hat, würde ich sagen, auch von ihrer.«
»Ihr hattet zusammen gearbeitet, ja?«
»Ja. Das heißt, das stimmt nicht ganz. Ruth hatte schonseit zwei Jahren als Illustratorin gearbeitet. Falls du es nicht weißt, das ist miserabel bezahlt. Sie hatte auch mal eine Ausstellung, ohne großen Erfolg. Aber ich habe ihre Zeichnungen gesehen und ihr vorgeschlagen, ein paar davon im Dekobereich unterzubringen. Erst dachte ich, es würde sie kränken. Manche Künstler zucken zusammen, wenn sie nur das Wort ›vermarkten‹ hören.« Sie lächelte. »Aber Ruth hat sich begeistert hineingestürzt, wie in ein Abenteuer. Und mit großartigem Ergebnis.«
Leire war das bekannt. In den Tagen zuvor hatte sie die Zeichnungen von Ruth Valldaura durchgesehen. Angefangen hatte Ruth mit Dekostoffen, aber in wenigen Jahren hatte sie ihre Kollektion ausgeweitet auf eine Vielfalt von Objekten, und sie alle zeugten von einer ungeheuren Kreativität. Wenn man den Namen Ruth Valldaura bei Google eingab, erschienen sofort zahlreiche Läden, vor allem in Spanien, Frankreich und Italien, die ihre Artikel exklusiv vertrieben. Nicht allzu teure Geschäfte, sehr wohl aber originelle, mit sicherem Händchen ausgewählt von der Frau, die jetzt vor ihr saß.
»Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll«, sagte Carol nachdenklich und nippte an ihrem Glas. »Ich meine, mit der Wohnung und dem Geld, das immer noch kommt. Wahrscheinlich sollte ich mit Héctor sprechen.«
»Er ist kein schlechter Kerl«, sagte Leire. »Wirklich nicht.«
»Das hat Ruth auch gesagt. Wann immer ich, Tschuldigung, sauer auf diesen Arsch war, hat sie ihn in Schutz genommen. Es ist schwer, nicht auf jemanden eifersüchtig zu sein, der so lange mit deiner Partnerin zusammen war.« Bevor Leire nachfragen konnte, sprach sie weiter, den Blick fest auf den Inhalt des Glases gerichtet. »Aber nicht das war es. Sondern sie selbst. Ruth schaffte es, dass du dich fühlst wie der Mittelpunkt der Welt. Wenn es ein Problem gab,wenn wir uns spätabends unterhielten, miteinander schliefen … Aber manchmal war sie in Gedanken weit weg, und da merkst du
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