Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
klarer Beweis für den Zynismus, der schon zu ihrem Wesen gehörte.
»Wir sind ein Team, Gaspar. Ich verstehe dich, glaub mir. Aber du hast uns dein Wort gegeben, wir haben einen Pakt geschlossen. Und du bist jemand, der zu seinem Wort steht, etwa nicht? Bisher haben sich alle daran gehalten, wie echte Gentlemen. Es fällt mir schwer zu glauben, nein, es schmerzt mich, dass ein so integrer Mensch wie du einen Rückzieher machen will, dass er bereit ist, zurückzunehmen, was er seinen Kollegen versprochen hat, und zu verlieren, was er erreicht hat. Und das alles nur für … Wofür, Gaspar? Wofür genau? Glaubst du wirklich, es ist die Sache wert?«
Eine brillante Rede, gewunden wie eine Weihnachtsgirlande. Und genauso verlogen. Sie hatte aus einer Machtposition heraus an die Solidarität appelliert, hatte Begriffe wie Ehrlichkeit oder Verantwortung verzerrt, um den anderen in eine Situation zu bringen, in der er sich aus freien Stücken für das entschied, was sie von ihm verlangte; und nicht etwa um eines Vorteils willen, sondern weil er spürte, dass es so sein musste. Auf der Arbeit wie im Leben zog die Freundlichkeit die Menschen in eine tiefere Schuld als der Zwang. Sílvia setzte den Trick bewusst ein, vor allem bei schwachen und unsicheren Kandidaten. Bei Brais Arjona etwa funktionierte er nicht, aber das war auch nicht nötig. Brais verstand, dass sie in einem Boot saßen und dass er entweder in dieselbe Richtung ruderte oder mit ihnen unterging. Bei Gaspar hatte sie offenbar nicht das richtige Lockmittel gefunden, und an das Ergebnis, diese Familientragödie, dachte sie lieber nicht.
Sie sah eine nicht allzu große Lücke, wo sie den Wagen abstellen konnte, blinkte vorschriftsgemäß und parkte ein. Sie wollte gerade aussteigen, als erneut das Handy klingelte. Die Nummer war unterdrückt.
18
Auf dem Rückweg zum Kommissariat an der Plaza Espanya nahm Héctor dieselbe Metrolinie, die Sara sich ausgesucht hatte, um ihr Leben zu beenden. Während der rappelvolle Zug durch den Tunnel fuhr, beobachtete er die Fahrgäste. Um diese Zeit waren es meist Angestellte oder Studenten, die nach einem langen Tag wieder nach Hause fuhren, versunken in Gratiszeitungen oder mit ihren Smartphones in der Hand. Die Erschöpfung, der Verdruss, die Stumpfheit waren fast zu greifen. Ein Mädchen schrie in ihr Handy, stritt sich mit jemandem ohne die geringste Scheu, doch niemand schien sie auch nur zu bemerken. Die Welt wird immer autistischer, dachte Héctor. Eine ältere Frau riss ihn aus seinen Grübeleien. Sie war mit einem vollen Einkaufstrolley eingestiegen, den sie kaum ziehen konnte. Es gab keinen einzigen freien Platz, und die Dame hielt sich ein paar Minuten schwankend an dem Karren fest, ehe ein Junge rechts neben ihr sie sah und ihr bedeutete, sie könne sich setzen. Die Fahrgäste direkt vor der Frau taten, als sähen sie nichts.
Der Junge, der nun neben Héctor stand, grüßte ihn schüchtern. Und da erinnerte er sich: Das war Nelson, oder Jorge – er wusste nicht mehr, wer wer war –, der ältere Bruder jedenfalls, der auf den Bahnsteig zurückgekehrt war, um das Handy von Sara Mahler abzugeben. Jedes Mal freute Héctor diese provinzielle Seite Barcelonas, einer Stadt, die nicht so groß war, wie sie sich gab.
»Wie geht’s?«, fragte Héctor.
Der Junge zuckte mit den Schultern.
»Das Leben ist hart.« Er schaute Héctor an, als verwunderte es ihn, den Inspektor in der U-Bahn zu sehen. »HabenSie noch etwas herausgefunden über diese Frau? Die vor den Zug gesprungen ist.«
»Nur wenig«, sagte Héctor.
»Na gut, also, ich muss jetzt raus. Und keine Sorge, mein Bruder wird nicht wieder Ärger machen.«
»Bestimmt nicht.« Héctor lächelte. »Aber lass ihn nicht aus den Augen. Wer weiß.«
Die Türen gingen auf, und Nelson, oder Jorge, nickte und trat auf den Bahnsteig.
Als er ins Kommissariat kam, wusste Héctor gleich, dass Fort Neuigkeiten für ihn hatte. Er hoffte, dass Poker nicht zu den Hobbys seines Untergebenen gehörte, denn er würde nie verbergen können, was für ein Blatt er in der Hand hielt.
»Ich habe die Bankbewegungen von Sara Mahler durchgesehen«, sagte Fort, seiner Gewohnheit treu, die einzelnen Schritte bis zur Schlussfolgerung zu erläutern. »Im Allgemeinen recht alltägliche Sachen, fast alles Lastschrifteinzüge. Aufgefallen ist mir ein fester Beitrag für den Frauenverein Hera. Das untersuche ich noch. Allerdings hat Sara von Oktober bis Dezember ein paarmal größere
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