Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ihr Geschäft, dachte sie, während sie auf die Ausfahrt des Firmenparkplatzes zusteuerte. Das Fälschen von Seelen. Sie konnte die Liste ihrer Produkte herbeten: Feuchtigkeitscremes, Aufbaucremes, Anti-Age-Cremes … Es war völlig egal. Die Wirkung im Gesicht war allenfalls oberflächlich, denn das innere Gesicht, das wirklich zählte, alterte hoffnungslos. Wurde rissig, trocknete aus. Und keine Salbe, kein Balsam der Welt konnte es verhindern. Deshalb kamen die Falten auch immer wieder, deshalb wurden Unternehmen wie das ihre gebraucht. Eigentlich machten sie das Gleiche wie das Bildnis des Dorian Gray. Sie verbannten das Alter, alles Schlechte und Verfaulte in das innere, geheime Gesicht und hielten das sichtbare einigermaßen rein, jung und schön. Aber das Bildnis war da: kauerte in dir, bereit, dich zu verraten, wenn du am wenigsten damit rechnest.
Sie reihte sich mit ihrem Wagen unter die vielen Fahrzeuge, die um diese Zeit in Barcelona unterwegs waren. Ein Heer folgsamer und fleißiger Arbeitnehmer, die sich für ein paar Stunden zurückzogen und am nächsten Tag die Strecke in die Gegenrichtung fuhren. Am Morgen so müde und gelangweilt wie am Abend: all die Epsilons, die ihr höchstes Glück im Ratenkauf fanden. Sie lächelte spöttisch, zumindest sie durfte für ein paar Stunden so etwas wie eine Alphafrau sein. Eine Art Königsgemahlin, notwendig und geschätzt, wenn auch ein wenig gefürchtet, klar.
Die Kolonne kam zum Stehen, und Sílvia wollte gerade Musik anmachen, als das Handy klingelte.
»Ja?«
Die Freisprechanlage irritierte sie. Immer hatte sie den Eindruck, dass der andere sie nicht gut hörte.
»Mama?«
»Hallo, Schatz. Ich bin im Auto.«
»Ganz kurz nur. Kommst du zum Essen?«
»Ich weiß nicht. Haben wir denn was im Haus?«
»Ja, klar. Aber Pol sagt, er kommt um vor Hunger, er hat Lust auf Pizza. Wenn du nicht kommst, könnten wir eine bestellen.«
Hinter ihr hupte es ungeduldig. Der Wagen vor ihr war ein paar Meter weitergefahren.
»Ich mach ja schon …«
»Was?«
»Nein, ich meine nicht dich, Emma. Ich stecke im Stau.«
»Aha. Dürfen wir?«
Sílvia zögerte nur kurz.
»Nein.«
»Aber Mama!«
»Ich habe gesagt, nein. Im Kühlschrank ist Hähnchen. Und Nudelsalat, von gestern. Wenn ich in einer Stunde nicht da bin, machst du das Abendessen, Schatz, für dich und deinen Bruder.«
Ein paar Sekunden war es still. Dann wieder die Stimme von Emma, gehorsam und freundlich.
»In Ordnung. Ich hatte ihm schon gesagt, dass du das nicht gerne siehst. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich drum.«
»Danke, Liebes. Also, wir sehen uns dann zu Hause, du weißt, ich telefoniere nicht gerne im Auto. Bis später. Küsschen … Und sag Pol, er soll nicht meckern.«
»Küsschen, Mama. Bis später.«
Sílvia warf einen Kuss in Richtung Handy. Wenn doch nur alle so wären wie Emma, dachte sie stolz und stellte dasAutoradio an. Sie war sich sicher, wenn sie kam, war das Abendessen fertig und die Küche aufgeräumt. Sie hatte sie gut erzogen, was in diesen Zeiten keine leichte Aufgabe war. Nur wenige sechzehnjährige Mädchen waren so verantwortungsvoll, so zuverlässig. Sollte Emma in der Oberstufe ins Ausland gehen, würde sie sie sehr vermissen. Noch war nichts entschieden, aber es stand an. Und nicht nur das. Die Hochzeit zum Beispiel. So schlicht die Feier auch würde, es gab noch einiges zu tun … Sie seufzte. Ihr war nicht danach, an Festlichkeiten zu denken. Sie hatte sogar schon erwogen, die Hochzeit aufzuschieben, was César wohl gar nicht gefiele. Und auch wenn sie es sich nur ungern eingestehen wollte, hatte sie wirklich Lust, ihn zu heiraten. Jemanden auf diesem Beifahrersitz zu haben, der seit Jahren leer war. Nicht dass es die Liebe ihres Lebens wäre. Die hatte sie Gott sei Dank schon überwunden, so wie die Masern, und jetzt war sie für immer immun. Was sie bei César suchte, war etwas anderes: Achtung, Gesellschaft, jetzt, wo die Kinder flügge wurden. Für sie stand fest, dass er ein guter Mensch war, jemand, dem man vertrauen konnte und der sie immerhin genauso liebte wie sie ihn.
Eine Zynikerin bist du geworden, dachte sie. Für die Seele vielleicht nicht das Beste, aber notwendig fürs Überleben. Sílvia hatte vieles schlucken müssen, als sie ins Elternhaus zurückkehrte und ihrem Vater unter die Augen trat. Der alte Herr hatte ihr geholfen, ja, hatte sie finanziell unterstützt, damit sie die Ausbildung beenden konnte, die sie abgebrochen hatte, als sie von zu
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