Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
wäre. Solange Ich Mir nicht das einzig Wichtige bin, ist's gleichgültig, von welchem Gegenstande Ich »viel Wesens« mache, und nur mein größeres oder kleineres Verbrechen gegen ihn ist von Wert. Der Grad meiner Anhänglichkeit und Ergebenheit bezeichnet den Standpunkt meiner Dienstbarkeit, der Grad meiner Versündigung zeigt das Maß meiner Eigenheit.
Endlich aber muß man überhaupt sich Alles »aus dem Sinn zu schlagen« wissen, schon um – einschlafen zu können. Es darf Uns nichts beschäftigen, womit Wir Uns nicht beschäftigen: der Ehrsüchtige kann seinen ehrgeizigen Plänen nicht entrinnen, der Gottesfürchtige nicht dem Gedanken an Gott; Vernarrtheit und Besessenheit fallen in Eins zusammen.
Sein Wesen realisieren oder seinem Begriffe gemäß leben zu wollen, was bei den Gottgläubigen so viel als »fromm« sein bedeutet, bei den Menschheitsgläubigen »menschlich« leben heißt, kann nur der sinnliche und sündige Mensch sich vorsetzen, der Mensch, solange er zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden die bange Wahl hat, der Mensch, solange er ein »armer Sünder« ist. Der Christ ist nichts anderes, als ein sinnlicher Mensch, der, indem er vom Heiligen weiß und sich bewußt ist, daß er dasselbe verletzt, in sich einen armen Sünder sieht: Sinnlichkeit, als »Sündlichkeit« gewußt, das ist christliches Bewußtsein, das ist der Christ selber. Und wenn nun »Sünde« und »Sündlichkeit« von Neueren nicht mehr in den Mund genommen wird, statt dessen aber »Egoismus«, »Selbstsucht«, »Eigennützigkeit« u. dergl. ihnen zu schaffen macht, wenn der Teufel in den »Unmenschen« oder »egoistischen Menschen« übersetzt wurde, ist dann der Christ weniger vorhanden als vorher? Ist nicht der alte Zwiespalt zwischen Gut und Böse, ist nicht ein Richter über Uns, der Mensch, ist nicht ein Beruf, der Beruf, sich zum Menschen zu machen, geblieben? Nennt man's nicht mehr Beruf, sondern »Aufgabe« oder auch wohl »Pflicht«, so ist die Namensänderung ganz richtig, weil »der Mensch« nicht gleich Gott ein persönliches Wesen ist, das »rufen« kann; aber außer dem Namen bleibt die Sache beim Alten.
Es hat Jeder ein Verhältnis zu den Objekten, und zwar verhält sich Jeder anders zu denselben. Wählen Wir als Beispiel jenes Buch, zu welchem Millionen Menschen zweier Jahrtausende ein Verhältnis hatten, die Bibel. Was ist, was war sie einem Jeden? Durchaus nur das, was er aus ihr machte ! Wer sich gar nichts aus ihr macht, für den ist sie gar nichts; wer sie als Amulett gebraucht, für den hat sie lediglich den Wert, die Bedeutung eines Zaubermittels; wer, wie Kinder, damit spielt, für den ist sie nichts als ein Spielzeug usw.
Nun verlangt das Christentum, daß sie für Alle dasselbe sein soll, etwa das heilige Buch oder die »heilige Schrift«. Dies heißt so viel als daß die Ansicht des Christen auch die der andern Menschen sein soll, und daß Niemand sich anders zu jenem Objekt verhalten dürfe. Damit wird denn die Eigenheit des Verhaltens zerstört, und Ein Sinn, Eine Gesinnung, als der » wahre «, der »allein wahre« festgesetzt. Mit der Freiheit, aus der Bibel zu machen, was Ich daraus machen will, wird die Freiheit des Machens überhaupt gehindert, und an deren Stelle der Zwang einer Ansicht oder eines Urteils gesetzt. Wer das Urteil fällte, es sei die Bibel ein langer Irrtum der Menschheit, der urteilte – verbrecherisch.
In der Tat urteilt das Kind, welches sie zerfetzt oder damit spielt, der Inka Atahualpa, der sein Ohr daran legt und sie verächtlich wegwirft, als sie stumm bleibt, eben so richtig über die Bibel, als der Pfaffe, welcher in ihr das »Wort Gottes« anpreist, oder der Kritiker, der sie ein Machwerk von Menschenhänden nennt. Denn wie Wir mit den Dingen umspringen, das ist die Sache unseres Beliebens , unserer Willkür : Wir gebrauchen sie nach Herzenslust , oder deutlicher, Wir gebrauchen sie, wie Wir eben können. Worüber schreien denn die Pfaffen, wenn sie sehen, wie Hegel und die spekulativen Theologen aus dem Inhalte der Bibel spekulative Gedanken machen? Gerade darüber, daß jene nach Herzenslust damit gebaren oder »willkürlich damit verfahren«.
Weil Wir aber Alle im Behandeln der Objekte Uns willkürlich zeigen, d. h. so mit ihnen umgehen, wie es Uns am besten gefällt , nach unserem Gefallen (dem Philosophen gefällt nichts so sehr, als wenn er in Allem eine »Idee« aufspüren kann, wie es dem Gottesfürchtigen gefällt, durch Alles, also z. B. durch
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