Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
feste Burg, und nur dadurch, daß der Kaukasier unaufhörlich gegen diese Burg anstürmte, bewies er sich sittlich; hätte er's gar nicht mehr mit der Sitte zu tun gehabt, hätte er nicht an ihr seinen unbezwinglichen, fortwährenden Feind gehabt, so hörte die Beziehung zur Sitte auf, mithin die Sittlichkeit. Daß also seine Selbsttätigkeit noch eine sittliche ist, das ist eben das Mongolenhafte an ihr, ist ein Zeichen, daß er in derselben nicht zu sich selbst gekommen. Die »sittliche Selbsttätigkeit« entspricht ganz der »religiösen und rechtgläubigen Philosophie«, der »konstitutionellen Monarchie«, dem »christlichen Staate«, der »Freiheit in gewissen Schranken«, der »beschränkten Preßfreiheit«, oder in einem Bilde dem ans Krankenlager gefesselten Helden.
Erst dann hat der Mensch das Schamanentum und seinen Spuk wirklich überwunden, wenn er nicht bloß den Gespensterglauben, sondern auch den Glauben an den Geist abzulegen die Kraft besitzt, nicht bloß den Geisterglauben, sondern auch den Geistesglauben.
Wer an einen Spuk glaubt, nimmt nicht mehr das »Hereinragen einer höhern Welt« an, als wer an den Geist glaubt, und beide suchen hinter der sinnlichen Welt eine übersinnliche, kurz sie erzeugen und glauben eine andere Welt, und diese andere Welt , das Erzeugnis ihres Geistes , ist eine geistige Welt: ihre Sinne fassen und wissen ja nichts von einer anderen, unsinnlichen Welt, nur ihr Geist lebt darin. Der Fortgang von diesem mongolischen Glauben an das Dasein geistiger Wesen dahin, daß auch des Menschen eigentliches Wesen sein Geist sei, und daß auf diesen allein, auf sein »Seelenheil« alle Sorgfalt gerichtet werden müsse, ist nicht schwer. Damit wird die Einwirkung auf den Geist, der sogenannte »moralische Einfluß« gesichert.
Es springt daher in die Augen, daß das Mongolentum die vollkommene Rechtlosigkeit der Sinnlichkeit, die Unsinnlichkeit und Unnatur repräsentiere, und daß die Sünde und das Sündbewußtsein unsere Jahrtausende lange mongolische Plage war.
Wer aber wird auch den Geist in sein Nichts auflösen? Er, der mittelst des Geistes die Natur als das Nichtige , Endliche, Vergängliche darstellte, er kann allein auch den Geist zu gleicher Nichtigkeit herabsetzen: Ich kann es, es kann es Jeder unter Euch, der als unumschränktes Ich waltet und schafft, es kann's mit einem Worte der – Egoist .
Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und allen Mut: man verhält sich gegen dasselbe ohnmächtig und demütig . Und doch ist kein Ding durch sich heilig, sondern durch Meine Heiligsprechung , durch Meinen Spruch, Mein Urteil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein – Gewissen.
Heilig ist Alles, was dem Egoisten unnahbar sein soll, unberührbar, außerhalb seiner Gewalt , d. h. über ihm : heilig mit Einem Worte jede – Gewissenssache , denn »dies ist Mir eine Gewissenssache« heißt eben: »dies halte Ich heilig«.
Für kleine Kinder, wie für Tiere, existiert nichts Heiliges, weil man, um dieser Vorstellung Raum zu geben, schon so weit zu Verstand gekommen sein muß, daß man Unterschiede wie: »gut und böse, berechtigt und unberechtigt« usw. machen kann; nur bei solchem Grade der Reflexion oder Verständigkeit – dem eigentlichen Standpunkte der Religion – kann an die Stelle der natürlichen Furcht die unnatürliche (d. h. erst durch Denken hervorgebrachte) Ehrfurcht treten, die »heilige Scheu«. Es gehört dazu, daß man etwas außer sich für mächtiger, größer, berechtigter, besser usw. hält, d. h. daß man die Macht eines Fremden anerkennt, also nicht bloß fühlt, sondern ausdrücklich anerkennt, d. h. einräumt, weicht, sich gefangen gibt, sich binden läßt (Hingebung, Demut, Unterwürfigkeit, Untertänigkeit usw.). Hier spukt die ganze Gespensterschar der »christlichen Tugenden«.
Alles, wovor Ihr einen Respekt oder eine Ehrfurcht hegt, verdient den Namen eines Heiligen; auch sagt Ihr selbst, Ihr trüget eine » heilige Scheu «, es anzutasten. Und selbst dem Unheiligen gebt Ihr diese Farbe (Galgen, Verbrechen usw.). Es graut Euch vor der Berührung desselben. Es liegt etwas Unheimliches, d. h. Unheimisches oder Uneigenes darin.
»Gälte dem Menschen nicht irgend etwas als heilig, so wäre ja der Willkür, der schrankenlosen Subjektivität Tür und Tor geöffnet!« Furcht macht den Anfang, und dem rohsten Menschen kann man sich fürchterlich machen; also schon ein Damm gegen seine Frechheit. Allein in der Furcht bleibt immer noch der Versuch,
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